Philosophische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn Institut für Philosophie Modulprüfungshausarbeit im Studiengang „Französistik & Hispanistik“ " Darstellung des Massakers von Tlatelolco - Polyphonie in Elena Poniatowskas Werk "La noche de Tlatelolco " Vorgelegt von Corinne Natascha Oetker-Álvarez Anschrift: In der Rosenau 9 E-Mail: [email protected] Matrikel-Nr.: 3179314 Semester: 5. Semester Seminar: La literatura testimonial en América Latina Themenstellerin: Frau Dr. Wehrheim Modul: Vertiefungsmodul C: Epochen, Gattungen, Autoren, Werke Hausarbeit in Basis im vorgesehenen Modul angemeldet am: 17.03.2021 Vorgelegt am: 30.04.2021 Von der Themenstellerin einzutragen: Note: Unterschrift: Datum: Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung.......................................................................................................................3 2 Historischer und politischer Hintergrund......................................................................4 3 Inhaltsangabe.................................................................................................................5 3.1 Erzählstruktur und Funktion..................................................................................6 3.2 Darstellung des Massakers.....................................................................................9 3.3 Polyphonie in „La noche de Tlatelolco“..............................................................10 4 Fazit.............................................................................................................................13 5 Literaturverzeichnis.....................................................................................................15 6 Selbstständigkeitserklärung.........................................................................................16 2 1 Einleitung Wie wird das Massaker von Tlatelolco von Elena Poniatowska dargestellt und welche Rolle spielt dabei der Begriff der Polyphonie? Mithilfe dieser Hausarbeit wird diese Frage vor historischer und inhaltlicher Konstituierung beantwortet. Ziel dieser Arbeit ist es, auf eine erstmals theoretische Einordnung der historischen Ereignisse einzugehen. Im Folgenden werden der Inhalt und die Analysekriterien erklärt. Zentral hierbei ist neben des politischen Hintergrundes und einer Einführung des Inhalts von „La noche de Tlatelolco“, die Erzählstruktur und deren Funktion. Genauer gesagt wird die Frage, wie Elena Poniatowska mit rhetorischen, bildlichen und polyphonen Mitteln die Gegebenheiten des 2. Oktobers 1968 präsentiert, behandelt. Es wird dargestellt, weswegen die Polyphonie dabei so ein wichtiges Werkzeug ist und, was wirklich geschehen ist. Dieses Ziel wird erreicht, indem zunächst eine historische und politische Kontextualisierung erfolgt, mit Hilfe derer die folgenden Aussagen und Annahmen untermauert werden können. Im nächsten Schritt wird dann ein Blick auf den konkreten Inhalt der Chronik von Elena Poniatowska geworfen und dargestellt, worum es geht und welche Abschnitte besonders wichtig für die darauffolgende Analyse sind. Anschließend wird dann im Unterkapitel 3.1 die Frage geklärt, welche Erzählstruktur vorhanden ist, und welche Funktion diese hat. Im darauffolgenden Kapitel geht es um die konkrete Darstellung des Massakers von Tlatelolco am 2. Oktober 1968: welche rhetorischen Mittel verwendet Poniatowska, welche Rolle spielen dabei die vielen verschiedenen Stimmen und welche Intention erfolgt durch die Menge an Illustrationen und Bilder des Tages am Plaza de las Tres Culturas. Im Unterkapitel 3.3 wird der Kern und Hauptmerk der Arbeit thematisiert: die Rolle und Funktion der genutzten Polyphonie, also der vielen verschiedenen Stimmen, die zu einem „großen Ganzen“ werden. Die Arbeit endet mit einem Fazit der Ergebnisse. 3 2 Historischer und politischer Hintergrund Der historische und politische Hintergrund ist zentral bei der Analyse von „La noche de Tlatelolco“ und der Grund für das Verfassen des Werkes. Wichtig zu wissen ist, dass die 1968er Jahre an vielen Orten der Welt aufmüpfige Jahre waren, in denen es vor allem darum ging, auf der Straße zu demonstrieren und sich für Demokratie, Freiheit und Gleichheit einzusetzen. Neben Japan, den USA, Deutschland und Frankreich war dies auch der Fall in Mexiko. Im Unterschied zu den anderen Ländern waren viele Augen auf Mexiko gerichtet, da dort in demselben Jahr die Olympischen Spiele stattfinden sollten, und es zuvor noch Befürchtungen gab, ob ein lateinamerikanisches Land in der Lage sei, eine solch riesige Veranstaltung zu organisieren und durchzuführen. 1 So ging es bei der 1968er Bewegung in Mexiko vor allem darum, für Meinungsfreiheit und Demokratie unter dem damaligen autoritären Staat unter der Führung von Gustavo Díaz Ordaz friedlich zu protestieren. Am Abend des 2. Oktobers 1968 gingen ungefähr 8000 Menschen im Stadtteil Tlatelolco, genauer gesagt auf den „Plaza de las Tres Culturas“, um etwas an der staatlichen Repression zu ändern. Während die friedliche Manifestation ihren Lauf nahm, fingen plötzlich Sicherheitskräfte, Polizisten und Scharfschützen an, aus allen Richtungen zu schießen, und die Menschenmenge geriet daraufhin in komplette Panik. 2 Es waren also genau die Gründe für die Proteste, der politische Autoritarismus, die staatliche Repression und die Meinungs- und Demokratiefreiheit, die für das tragische Ende der 1968er Bewegung in Mexiko führten. Das autokratische Regime der Partei der institutionalisierten Revolution, kurz PRI, regierte zu der damaligen Zeit schon fast 40 Jahre lang ununterbrochen. 3 Die Olympischen Spiele fanden trotzdem statt, und bis heute ist das einzige Gedenken an die vielen hundert Opfer, deren genaue Zahl bis heute nicht bekannt ist, ein Denkmal am Plaza de las Tres Culturas, der an die Opfer erinnern soll. Bis 1 Mellmann, Anne-Katrin: Das Massaker von Tlatelolco. 03.10.2018. https://www.deutschlandfunk.de/mexiko-1968-das-massaker-von-tlatelolco.1346.de.html? dram:article_id=429611 (zuletzt aufgerufen am 11.04.2021) 2 Ebd. Mellmann, Anne-Katrin. 3 Ebd. Mellmann, Anne-Katrin 4 heute ist nicht bekannt, wer genau hinter dieser Gräueltat steht, vermutet wird neben Gustavo Díaz Ordaz aber auch der damalige Innenminister und spätere Staatschef Luis Cheverria Álvarez als einer der Hauptverantwortlichen des Massakers. 4 Worum es inhaltlich in „La noche de Tlatelolco“ von Elena Poniatowska geht, darum geht es in dem folgenden Kapitel. 3 Inhaltsangabe In „La noche de Tlatelolco“ von Elena Poniatowska, erschienen 1971, geht es um das Massaker von Tlatelolco, welches sich nach friedlichen Protesten von Tausenden von Menschen auf dem Plaza de las Tres Culturas ereignete. In dem Werk werden die realen Begebenheiten der Nacht zum 2. Oktobers 1968 im Kontext der Studentenbewegung dargestellt. Die Journalistin Elena Poniatowska verwendet hierbei die sogenannte Polyphonie, also die Vielstimmigkeit, mithilfe derer auf eine authentische Weise dargelegt wird, was damals 1968 geschah. Die vielen verschiedenen Stimmen schaffen ein Mosaik , welches zu einem großen Bild wird. Von 1968 bis 1971, dem Jahr der Erscheinung des Buches, wurden die testimonios aufgenommen. Enthalten sind neben den Stimmen von Studenten auch derer von Familien, Müttern, Eltern, der Arbeiterklasse und anderen Personen, die sich der Bewegung anschlossen. Die Chronik ist in vier Teile aufgebaut. Es beginnt mit dem „Poema de Rosario Castellanos sobre la matanza“. Danach folgen viele Schlagzeilen, die nach den ersten Tagen der Ereignisse in den Hauptzeitschriften von Mexiko City erschienen sind. Danach wird im dritten Teil die Stimme Poniatowskas, über das was geschah, dargelegt. Im letzten und für die Analyse der Arbeit wichtigsten Teil tauchen dann die vielen testimonios auf. Auffallend bei den Schlagzeilen ist, dass es in den mexikanischen Medien weniger um die eigentlichen Opfer des autoritären Regimes geht, also den Studenten, Arbeitern 4 Mellmann, Anne-Katrin: Das Massaker von Tlatelolco. 03.10.2018. https://www.deutschlandfunk.de/mexiko-1968-das-massaker-von-tlatelolco.1346.de.html? dram:article_id=429611 (zuletzt aufgerufen am 11.04.2021) 5 oder Familien, sondern um die Soldaten und Initiatoren aus der ersten Reihe, die besonders in den Zeitschriften erwähnt werden. El día: Criminal Provocación en el Mitin de Tlatelolco causó Sangriento Zafarrancho. Muertos y Heridos en Grave Choque con el Ejército en Tlatelolco: Entre los heridos están el general Hernández Toledo y otros doce militares. Un soldado falleció. El número de civiles que perdieron la vida o resultaron lesionados es todavía impreciso. 5 Neben dieser Vertuschung durch die mexikanischen Medien wird anhand der vielen testimonios vor allem deutlich, wie plötzlich und unerwartet die Geschosse von allen Seiten losgingen und die Menschenmenge überraschten. „Nadie observó de dónde salieron los primeros disparos. Pero la gran mayoría de los manifestantes aseguraron que los soldados, sin advertencia ni previo aviso comenzaron a disparar“ 6 Anhand solcher testigos wird für den Rezipienten deutlich, welche Ohnmacht und Kontrollverlust die friedlich Protestierenden erleiden mussten, und welcher Schock dies für die Hinterbliebenen und Überlebenden ausgelöst hat. Nach dieser inhaltlichen Übersicht ist es interessant zu sehen, welche Bedeutung in dem Kontext die Erzählstruktur und Funktion hat, und inwiefern diese für die folgende Analyse von so großer und wichtiger Bedeutung ist. 3.1 Erzählstruktur und Funktion Die Erzählstruktur Poniatowskas ist klar durch Polyphonie charakterisiert. Bei der Polyphonie handelt es sich um ein literaturwissenschaftliches Konzept, bei dem der Autor in den Hintergrund gerät und anderen Stimmen die Lenkung seines Werkes überlässt, wie auch bei La noche de Tlatelolco. Da Elena Poniatowska Journalistin ist und sich vor allem für die marginalisierten Gruppen einsetzte, deren Stimme weites gehend ignoriert wurden, ist es kein Wunder, dass Poniatowska sich für das stilistische Mittel der Polyphonie entschied, um auf eine möglichst authentische und wahrhaftige Art und Weise das darzustellen, was damals 1968 wirklich in Mexiko City geschah. Die Intention Poniatowskas besteht darin, eine Chronik zu erstellen, die möglichst 5 Poniatowska,Elena:La noche de Tlatelolco.Testimonios de Historia Oral. ERA. México: 1971. S. 165. 6 Poniatowska, Elena. S. 167. 6 viele verschiedene Stimmen enthält und auf diese Weise eine möglichst objektive Sichtweise präsentiert . Auffallend an der Art, wie Poniatowska die Geschehnisse darstellt, ist die Vermischung verschiedener Hilfsmittel, um dem Leser ein klares Bild vom 2. Oktober 1968 zu präsentieren, indem die Schriftstellerin Zugriff genommen hat auf Quellen wie Krankenhausakten, Staatsakten und juristische Unterlagen. La voz narrativa, en general, se transforma en una especie de camarógrafo que plasma escenas simultáneas y retrospectivas, moviéndose sagazamente a través de las unidades espacio-tiempo. El desarrollo de la trama – fragmentada – se traslada en una cronología dispuesta por imágenes filmicas – efectos documentales – y narrativas que permiten al lector, más que leerla, visualizarla 7 Die Erzählerin befindet sich mehr im Hintergrund und lässt ihre testigos sprechen. An manchen Stellen, unter den Initialen „E.P.“, erkennt man ihre Präsenz. Die Art, in der sie die Geschehnisse schildert, zeichnet sich aus durch die theoretische und praktische Verschmelzung verschiedener Genres wie Journalismus, Fotografie, Dokumentation und Publizistik. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie als Erzählerin präsent ist und doch gleichzeitig den Fokus auf die testigos setzt und darauf, was diese zu sagen haben „While Poniatowska's authorial voice is rarely explicitly „heard“, her presence is constant; her hand is on the rudder, so to speak, as she guided us through this polyphonic historical journey.“ 8 Ihre Autorität als Journalistin ist alsoMittel zum Zweck, um ihr Ziel zu erreichen, die Nacht des 2. Oktobers 1968 auf eine Art und Weise darzustellen, die in dieser Form noch keiner initiierte und weswegen die Chronik der Ereignisse vor lauter Authentizität „strotzt“. Elena Poniatowska war selbst nicht bei der Protestbewegung 68, weshalb sie gerade auf die testigos zugreift. Sie 7 Vidal, Carmen África M: Translating oral micro-histories ethically: The case of Elena Poniatowska. https://www.trans-int.org/index.php/transint/article/view/963/345. S. 38. 8 Potter, Sara (2011): Before and After Tlatelolco: On Violence, Experience, and Living to Write About It. Nomenclatura: aproximaciones a los estudios hispánicos: Vol. 1 , Article 6. S. 8-9. 7 setzt in ihrer Chronik alles auf die Stimmen von Studenten, Arbeitern, Familien, Angehörigen und viele mehr, die sich gegen die autoritäre Staatsführung stellten. Poniatowska, a nonparticipant in the 1968 student movement, in her role as „E.P.“, the editor-parergon who positions herself outside of the ergon, becomes an integral part of it, the essential extra who recuperates a silenced past and projects it into a possible future 9 Bezüglich der Erzähl-Funktion ist zu betonen, dass die Intention Poniatowskas weniger darin lag, zu informieren, sondern vielmehr zum Nachdenken anzuregen und zu ermöglichen, dass sich so ähnliche Ereignisse nie wiederholen werden. Las crónicas urbanas de estos autores no estan en la prensa para suscitar un consumo despreocupado que alimente la curiosidad por informarnos sobre algunos de los rostros de la cuidad habitada; estan allí para apelar al lector y recapturarlo en una especie de labor cívico-política: para producir algo parecido a la transformación del lector en cuidadano 10 Nach der Einordnung und Kontextualisierung der Erzählstruktur und ErzählFunktion wird sich dem Kern dieser Hausarbeit gewidmet, der Frage nach der Darstellung des Massakers und konkreten Beispielen bezüglich dieses Themas. 3.2 Darstellung des Massakers Das Massaker wird sehr eindrucksvoll dargestellt. Die vielen Micro-histories bilden ein großes Ganzes und ermöglichen es, die vielen verschiedenen Realitäten der Beteiligten darzustellen. The novel does not use a simple dichotomous frame in which it would be very easy to place victims and executioners face-to-face; rather, the author creates a collage, as she calls it, so that she achieves a multilayered text charged with heteroglossia and polyphony that challenge the authorised monochromatic version of what took place. 11 Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Vermischung verschiedener Genres, um das Ziel zu erreichen, die Geschehnisse möglichst authentisch und realitätsbezogen darzustellen. 9 Jörgensen, B.E. (1991). Framing questions: the role of the editor in Elena Poniatowska’s La noche de Tlatelolco. Latin American perspectives, 70(18:3) (Summer). S. 88. 10 Bencomo, A. (2002). Voces y voceros de la megápolis. La crónica periodístico-literaria en México. Madrid-Frankfurt: Vervuert Iberoamericana.S. 28. 11Vidal, Carmen África M: Translating oral micro-histories ethically: The case of Elena Poniatowska. https://www.trans-int.org/index.php/transint/article/view/963/345 S. 76. 8 Hierbei ist neben dem Journalismus das Genre der Fotografie wohl mit am auffälligsten. Am Ende der Chronik ab Seite 101 folgt eine Reihe eindrucksvoller Fotografien, die den 2. Oktober 1968 festhielten. Diese Art der Darstellung verleiht der Chronik einen noch viel höheren Realitätsbezug und Authentizität. „(...) Esa narrativa en particular no solo ancla el texto al realismo, sino que añade también un elemento de hiperrealismo a los eventos que retrata el libro de la autora mexicana. 12 Außerdem ist zu erwähnen, dass diese bewusste Art der Darstellung, die geprägt ist von der Verwendung dieser verschiedenen, sich jedoch nicht widersprechenden Genres, letztendlich als eine Metapher gelesen werden kann, durch die der Rezipient, auch wenn er nicht zum Zeitpunkt vor Ort war, einen Einblick in das Seelenleben der Protestierenden erhält.Die Plötzlichkeit und die nicht erwarteten Schüsse von allen Seiten werden hierbei unterstrichen. „The montage form, with its juxtaposition of heterogeneous elements, creates a multilayered, polysemous vision fraught with gaps, discrepancies, and contradictions, as well as startling moments of unamity and consensus“ 13. Neben der Metapher, die weites gehend als solche verstanden werden kann, wird nach der Darstellung Poniatowskas auch deutlich, wer für das Unglück verantwortlich ist. Die Presse- und Printmedien, als Komplizen des Staates, erwähnen in ihren Schlagzeilen vor allem die verwundeten Polizisten und Soldaten. Poniatowska hingegen anonymisiert die Polizisten bewusst, da sie der Meinung ist, dass die Verantwortlichen der Tragödie genau diejenigen sind, die Kontrolle darüber haben, was über den 2. Oktober 1968 an die breite Masse gelangt. A diferencia de lo que aquí se plantea, el Movimiento no encontró un camino, más bien se dio a la tarea de circular por la Ciudad de México, difundiendo sus planteamientos por distintos sectores de la geografía urbana. Esa difusión se llevó a cabo, en muchas ocasiones, sin la ayuda de la prensa ni de otros medios de comunicación masiva, ya que los medios eran, en gran medida, cómplices del Estado. 14. Genau darum geht es bei dem Anspruch und der Darstellung Poniatowskas: einen Weg zu finden, die mexikanische Geschichte neu zu schreiben und dafür zu sorgen, dass sich 12 Gardner, N., & Martin Ruano, M.R. (2015). Reescritura y paratextualidad en La noche de Tlatelolco: la imagen visual en la traducción y la reedición como elemento neutralizador del realismo mágico. Bulletin of Spanish Studies. Vol. 92. No. 7. S. 6. 13Jörgensen, B.E. (1991). Framing questions: the role of the editor in Elena Poniatowska’s La noche de Tlatelolco. Latin American perspectives. Vol. 18. No. 3. S. 82-83. 14Gelpí, J.G. (2000). Testimonio periodístico y cultura urbana en La noche de Tlatelolco de Elena Poniatowska. Revista del Centro de Letras Hispanoamericanas, Año IX, No. 12. Mar del Plata.S. 297. 9 solche oder ähnliche Ereignisse nicht wiederholen werden. Es geht darum, eine Art darzulegen, die möglichst viele verschiedene Realitäten beinhaltet und als Mosaik, vor allem durch Polyphonie geprägt ist. Um den Aspekt der Polyphonie geht es im folgenden Kapitel. Es wird genau beleuchtet, welchen Nutzen und Zweck diese Art der Darstellung hat, die bei der Arbeit ein zentraler Punkt ist. 3.3 Polyphonie in „La noche de Tlatelolco“ Der Begriff der Polyphonie ist das zentrale Merkmal von „La noche de Tlatelolco“ von Elena Poniatowska, was die Chronik von anderen Schriften zur 1968er Bewegung in Mexiko unterscheidet. Dieser Punkt ist auch zentraler Bestandteil der Hausarbeit. Poniatowska hat sich für diese Art des Erzählens entschieden, eine Collage zu erstellen, um das Ziel zu erreichen, möglichst viele verschiedene Stimmen der Bewegung zu berücksichtigen, um letztendlich zu gewähren, dass man als Rezipient der Testimonial-Literatur ein breitgefächertes Bild von den Emotionen und Ängsten der Beteiligten bekommen kann. „Elena Poniatowska's La noche de Tlatelolco opts instead for fragmentation and plurality, attempting to convey the often conflicting voices of civil society as they address the traumatic experience of Tlatelolco“ 15 Die vielen verschiedenen Stimmen sind demnach Mittel zum Zweck, um den Anspruch der Autorin und Journalistin zu erreichen. Der Zweck gilt der Prämisse und dem Ziel, dass versucht wird, das Bewusstsein für Geschichte und für Traumata des kulturellen Bewusstseins wie der 1968er Bewegung in eine richtige und wichtige Richtung zu lenken und dadurch Teil der Geschichtsneuschreibung zu werden. However it is produced, most testimonial literature shares an explicit commitment to denounce repression and abuse of authority, raise the conciousness of its readers about situations of political, economic, and cultural terror, and offer an alternative view to official, hegemonig history 16 15Sorensen, D. (2002). Tlatelolco 1968: Paz and Poniatowska on law and violence. Mexican studies/Estudios mexicanos. Vol. 18, No. 2. S. 305. 16Jörgensen,Beth E.:The Writing of Elena Poniatowska.Austin: Texas University Press 1994. S. 68. 10 Neben dem Aspekt des Geschichts- und Traumata- Bewusstseins spielt die Polyphonie eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Darstellung von Manifestationen. Würde man in der Realität an einer Manifestation teilnehmen, so wären viele laute Stimmen, Ausrufe und polyphone Töne zu hören. In La noche de Tlatelolco bietet die Polyphonie also einen Weg, durch diese Form der Collage, beziehungsweise Montage, dem Rezipienten einen Einblick in die wahren Begebenheiten zu gewähren. „The montage form of the rext reflects the state of emotional distress that overwhelmed me during the days I spent writing, and also the repulsion over the massacre that killed perhaps as many as 350 persons in Tlatelolco (...)“ 17 Außerdem ist es wichtig zu erwähnen, dass die Polyphonie einen Mehrzweck hat. Sie ermöglicht es der Autorin, die vielen Micro-histories darzulegen und durch sie zu implizieren, dass sich die Geschichte von „unten“, also von dem einfachen Volk und den Zivilisten neu schreiben und definieren lässt. Poniatowska nimmt also die Rolle einer kritischen Historiographin ein, die sich gegenüber den offiziellen Vermittlungs-Instanzen, vehement wehrt und die andere „Wahrheit“, stets dementiert. The critical historiography is based on the idea that there is not only one History, the official, objective one written by the conquerors, but that it should be translated from many points of view, with a diversity of voices taking as their starting point the ethical responsibility of including as many points of view and perspectives as possible. 18 Poniatowska verwendet bei der Entwicklung ihrer Chronik nicht die offiziellen oder staatlichen Dokumente über die 1968er Bewegung in Mexiko, sondern vielmehr andere Ressourcen, wie Interviews, die sie mit den testigos durchgeführt hat, sowie auch Krankenhausakten und gerichtliche Untersuchungen. 19 Ohne diese Mittel wäre das Ziel der Vielstimmigkeit von vielen verschiedenen Menschen unmöglich, zumindest bei dem Versuch, das darzustellen, was wirklich passiert ist. Des weiteren muss berücksichtigt 17Corona Ignacio / Jörgensen, B.E. (Hg.). 2002. The Contemporary Mexican Chronicle: Theoretical Perspectives on the Liminal Genre. Suny Series in Latin American and Iberian Thought and Culture.S.40. 18 Vidal, Carmen África M: Translating oral micro-histories ethically: The case of Elena Poniatowska. https://www.trans-int.org/index.php/transint/article/view/963/345 (zuletzt aufgerufen am 11.04.2021). S. 72. 19 Ebd. Vgl. Carmen África M. S. 73. 11 werden, dass es Poniatowska neben der Informationsvermittlung auch darum ging, ein Manifest in Form von La noche de Tlatelolco zu schaffen, um die desmemoria zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Totalität und Wichtigkeit dieses Ereignisses niemals in Vergessenheit gerät und sich in ähnlicher Form nie wiederholen wird. La innegabilidad de los acontecimientos y la certeza de que estos deben ser recordados es una misión en la que coadyuvan, asimismo, y de manera esencial, toda una pléyade de paratextos que, a pesar de su posición teóricamente periférica y de su rango no autorial, prestan a la autora una colaboración inestimable en la lucha contra la desmemoria 20 Genau diese Erschaffung eines Mosaiks aus Stimmen ermöglicht es, als Außenstehender, ohne vorheriges geschichtliches oder politisches Bewusstsein, ein Bild davon zu bekommen, in Form von Fotografien und den testigos, wie tragisch die 68er Bewegung in Mexiko endete. Als einziges Land der Welt, endete dies in einem Blutbad, was von dem Staat verschwiegen wurde, um letztendlich die Olympischen Spiele ohne Störfaktoren austragen zu können. The effect is to contruct the fiction of presence: the reader is immersed in the microstories of the everyday experience of '68, as if through fragmentation and polyphony it became possible to reconstruct the meanings of politics in everyday life 21 Das gleichzeitig jedes einzelne testimonio letztendlich für sich selbst spricht, wird graphisch dadurch unterstrichen, dass zwischen jeden testigos eine breite weiße Fläche, eine Art Trennung vorherrscht. 22 Die testimonios sind unabhängig voneinander entstanden und doch gleichzeitig voneinander in gewisser Weise abhängig, weil die vielen kleinen Stimmen ein großes Ganzes bilden. Die Vielstimmigkeit hat noch ein weiteres Merkmal. Sie ermöglicht es eben auch, konträre Meinungen zu vertreten und dies tut sie auch in La noche de Tlatelolco. 23 Dort befinden sich unter anderem Fidel Castro Anhänger, verzweifelte Studenten, die Arbeiterklasse, Gegner des Vietnamkrieges und des autoritären Regimes. Der größte Vorteil und Nutzen der Polyphonie scheint also darin zu liegen, dass der Reichtum an Perspektiven dem Rezipienten ein breitgefächertes, und Horizont erweiterndes Bild vermittelt, was ohne 20 Gardner, N., & Martin Ruano, M.R.S. 14. 21Sorensen, D. S. 313. 22 Vgl. Jörgensen, B.E. S. 83. 23 Vg. Gelpi, J.G.S. 301. 12 Polyphonie unmöglich wäre. 4 Fazit Mit dieser Hausarbeit sollte die Darstellung des Massakers von Tlatelolco von Elena Poniatowskas Werk untersucht und präsentiert werden, unter besonderer Berücksichtigung des historischen und politischen Kontextes. Es wurde deutlich, dass besonders die Erzählstruktur und deren Funktion eine wichtige Rolle spielt und maßgeblich die Art der Darstellung des Massakers in Form von Polyphonie prägt. Außerdem zeigte sich anhand der Analyse, dass neben der reinen Informationsvermittlung und Darstellung die eigentliche Macht von Polyphonie durch Poniatowskas Werk zum Vorschein tritt. Diese Art des Erzählens kann ein wichtiger Schritt in Richtung Trauma Überwindung für eine Kultur/Nation sein und gleichzeitig auch einen maßgeblichen Wert bei der Geschichtsneuschreibung aufweisen. Des weiteren zeigte sich, dass immer differenziert werden sollte, was von den staatlichen Medien wie Presse und Zeitungen über gewisse Ereignisse berichtet wird, und was die testigos der Protestierenden die es alles selbst erlebt haben, offenlegen. Durch ihren Beruf als Journalistin konnte Elena Poniatowska auf viele Mittel wie Interviews, nicht öffentliche Akten zurückgreifen und letztendlich als Quelle ihres Werkes die Meinung des Volkes vertreten und darstellen. Außerdem zeigt die Hausarbeit, dass die Geschichte etwas ist, dass seine Wahrheit in den micro-histories liegt, die die Idee unterstützen, Geschichte von unten neu zu schreiben. Da Elena Poniatowska sich generell für Themen wie soziale Gerechtigkeit, Missstände in Mexiko City und Meinungen des einfachen Volkes schon seit langem interessiert und sich diesen Themen in ihren Werken widmet, ist „La noche de Tlatelolco“ nur eins von vielen Beispielen ihrer Literatur. Gleichzeitig kann es als eine Art „Manifest“ verstanden werden, welches ein sehr tragisches Ereignis in der mexikanischen Geschichte thematisiert, und dies auf eine Art und Weise, 13 die sich durch ihre Authentizität und Vielstimmigkeit von anderen Werken unterscheidet. 14 5 Literaturverzeichnis Bencomo, A. (2002). Voces y voceros de la megápolis. La crónica periodístico-literaria en México. Madrid-Frankfurt: Vervuert Iberoamericana. Corona Ignacio / Jörgensen, B.E. (Hg.). 2002. The Contemporary Mexican Chronicle: Theoretical Perspectives on the Liminal Genre. Suny Series in Latin American and Iberian Thought and Culture. Gardner, N., & Martin Ruano, M.R. (2015). Reescritura y paratextualidad en La noche de Tlatelolco: la imagen visual en la traducción y la reedición como elemento neutralizador del realismo mágico. Bulletin of Spanish Studies. Vol. 92, No. 7. Gelpí, J.G. (2000). Testimonio periodístico y cultura urbana en La noche de Tlatelolco de Elena Poniatowska. Revista del Centro de Letras Hispanoamericanas, Año IX, No. 12. Mar del Plata. Jörgensen, B.E. (1991). Framing questions: the role of the editor in Elena Poniatowska’s La noche de Tlatelolco. Latin American perspectives. Vol. 18, No 3. Jörgensen,Beth E.:The Writing of Elena Poniatowska.Austin: Texas University Press 1994. Mellmann, Anne-Katrin: Das Massaker von Tlatelolco. 03.10.2018. https://www.deutschlandfunk.de/mexiko-1968-das-massaker-vontlatelolco.1346.de.html?dram:article_id=429611 (11.04.2021) Poniatowska,Elena:La noche de Tlatelolco.Testimonios de Historia Oral.ERA.México:1971. Potter, Sara (2011): Before and After Tlatelolco: On Violence, Experience, and Living to Write About It.Nomenclatura: aproximaciones a los estudios hispánicos: Vol. 1 , Article 6 Sorensen, D. (2002). Tlatelolco 1968: Paz and Poniatowska on law and violence. Mexican studies/Estudios mexicanos. Vol. 18, No. 2. Vidal, Carmen África M: Translating oral micro-histories ethically: The case of Elena Poniatowska. https://www.trans-int.org/index.php/transint/article/view/963/345 (15.04.2021). 15 6 Selbstständigkeitserklärung Ich versichere hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, ganz oder in Teilen noch nicht als Prüfungsleistung vorgelegt und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Sämtliche Stellen der Arbeit, die benutzten Werken im Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, habe ich durch Quellenangaben kenntlich gemacht. Dies gilt auch für die Zeichnungen, Skizzen, Tabellen, bildliche Darstellungen und dergleichen sowie für Quellen aus dem Internet. Ich erkläre mich bereit, auf Aufforderung unverzüglich eine elektronische Fassung meiner Arbeit einzureichen. Köln, den 30.04.2021 16