Die Option einer Nuklearbewaffnung für die Schweizer Armee 1945-1969 von Dominique Benjamin Metzler I. Einleitung Im August 1945 wurde die Weltöffentlichkeit mit dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki vor neue Tatsachen gestellt. Eine technische Errungenschaft begann in einem noch nie erreichten Ausmasse die menschliche Existenz zu prägen. Die USA verfügten nun über eine Waffe, welche die Selbstzerstörung der Menschheit nicht ausschloss. Mit dem Ende des Krieges, mit dem Frieden, der überall gefeiert wurde, begann, mit Friedrich Dürrenmatt gesprochen, ein äusserst paradoxes Zeitalter: Zahlreiche Staaten steuerten aus sicherheitspolitischen Gründen die Nutzung der Atomenergie zu militärischen Zwecken an, obwohl gleichzeitig auch ein Bewusstsein vorhanden war, dass von dieser Entwicklung eine grosse Gefahr ausging, die aufgehalten werden müsste. Es stellt sich die Frage, wie die Schweiz und insbesondere das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) auf diese technische Revolution reagierte. Wie intensiv verfolgte die Schweizer Armeeführung die nukleare Option? Sah sie den Bau eigener Nuklearwaffen vor? Welche Verbindungen wurden zwischen den militärischen Atomplänen und der nuklearen Technologiepolitik der Industrie und Energiewirtschaft gepflegt? Welche Planungsaufträge beschloss der Bundesrat? Haller, Michael, (Hrsg.), Friedrich Dürrenmatt. Über die Grenzen, Zürich 1990, S. 32 f. 121 Auf solche Fragen vermochte man bis anhin kaum eine Antwort zu finden, weil ein Grossteil der staatlichen Akten bis vor kurzem der Sperrfrist unterlag. Im Frühling 1995 änderte sich die Situation aber schlagartig, als EMDVorsteher Bundespräsident Kaspar Villiger die Akten über die schweizerischen Atomwaffenpläne bis zum Jahre 1964 freigab. Der vorliegende Aufsatz ist eine Zusammenfassung der Lizentiatsarbeit, die ich im November 1995 bei Prof. Georg Kreis an der Universität Basel eingereicht habe. II. Die Fortführung des Autarkiegedankens Auf das Kriegsende von 1945 folgte - im Gegensatz zu 1918 - weder ein scharfer Gegensatz zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft, noch eine Krise der Landesverteidigung.2 Die äussere Bedrohung und Isolation der Schweiz erweckten bei allen Bevölkerungsgruppen eine grosse nationale Solidarität und Hessen die regionalen Gegensätze fast vergessen. Dass die Schweiz erneut verschont blieb und ihre Produktionsstätten und ihren Wohlstand im Gegensatz zu den umliegenden Nationen kontinuierlich ausbauen konnte,3 galt zu diesem Zeitpunkt als Verdienst einer entschlossenen Landesverteidigung. Die Schweizer Armee schien sich bewährt zu haben, ohne eine eigentliche Bewährungsprobe durchgestanden zu haben.4 Zwar stellte der Abwurf der Atomwaffen über Japan alle überlieferten Vorstellungen vom Kriege in Frage und bedeutete einen tiefen Einschnitt in die historische Kontinuität, der Glaube an eine wirksame Landesverteidigung blieb aber unbestritten5, um so mehr als sich neue Bedrohungen abzeichneten. Kaum waren die nationalsozialistischen Gefahren gebannt, sah sich der Kleinstaat Schweiz spätestens 1948, nach der Machtübernahme in der Tschechoslowakei, kommunistischen Expansionsgelüsten gegenübergestellt. So trat die Schweiz nach dem Krieg die Zukunft eher mit abwehrenden Gebärden an, eher rückwärts gerichtet als 2 Gilg, Peter/Halblützel, Peter, in Geschichte der Schweiz und der Schweizer, Basel, 1986, S. 939. Schmid, Karl, Standortmeldungen. Über schweizerische Fragen, München, 1973, S. 13. 4 Dejung, Christoph, Schweizer Geschichte seit 1945, Frauenfeld, 1984, S. 31. 5 Ernst, Alfred, «Geschichte der Landesverteidigung», in Grüner, Erich, (Hrsg.), Die Schweiz seit 1945, Beiträge zur Zeitgeschichte, Bern, 1971, S. 175 f. 122 vorwärts schauend, eher skeptisch bis feindlich gegen aussen, dafür solidarisch gegen innen.6 Die Armee, die defensiven Charakter besass, nahm in dieser beschriebenen Denkweise einen hohen Stellenwert ein. Sie verkörperte den Willen zur Selbstbehauptung und staatlichen Unabhängigkeit. Dieser Wille war stets an eine gewisse Vorstellung von Autonomie gekoppelt, was sich auch deutlich im kriegstechnischen Bereich niederschlug. Die Eigenproduktion einer Nuklearbewaffnung wurde kurz nach Kriegsende in einer geheimen militär-wissenschaftlichen Allianz angestrebt, mit der Idee, dem politischen Prinzip der bewaffneten Neutralität das wirksamste kriegstechnische Mittel in die Hand zu geben. A. Der geheime militär-wissenschaftliche Alleingang Die theoretische Kernphysikforschung in der Schweiz nahm ihre Anfänge in den zwanziger Jahren am physikalischen Institut in Genf und an den Universitäten Lausanne, Bern und Basel und entwickelte sich parallel zu den fuhrenden Wissenschaftszentren der Welt. Eine herausragende Rolle in der Schweiz nahm das Physikalische Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich ein, das von 1927 an von Professor Paul Scherrer geführt wurde. Davon konnte sich die Bevölkerung erstmals an der Landesausstellung von 1939 überzeugen, wo der «Tensator», ein langgezogener Apparat zur Erzeugung von Hochspannung für die Beschleunigung elektrisch geladener Teilchen, bestaunt werden konnte. Die atomphysikalische Forschung wurde an dieser zentralen Veranstaltung, im emotionalen Rahmen der geistigen Landesverteidigung, idealisiert und zu einer existentiellen Forschungsaufgabe stilisiert. Scherrers Erfolge, welche internationale Beachtung fanden, und seine Apparaturen, die sich als Vorzeigestücke eigneten, schienen auch die Kommission zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (KWF) zu überzeugen. Im April 1943 trafen die ersten Gesuche zur Förderung der Atomforschung bei Otto Zipfel, dem Delegierten für Arbeitsbeschaffung, ein. Die Forschungsförderung wurde von der KWF, welche unter der Aufsicht des EMD stand, im April 1945 freigegeben. 306'000 Franken wurden der 6 Grüner, Erich, (Hrsg.), op. cit., S. 17. Hug, Peter, Geschichte der Atomtechnologieentwicklung in der Schweiz, Lizentiatsarbeit, Universität Bern, 1987, S. 63. 123 Atomforschung zugesprochen, wovon die Professoren Scherrer (ETH) sowie Huber und Kuhn (beide Universität Basel) profitieren durften.8 Von der militärischen wie auch wirtschaftlichen Bedeutung der Forschung Kuhns und des Schweren Wassers hatte Otto Zipfel spätestens im Verlauf des Jahres 1945 Kenntnis, wie aus einem Brief an Bundesrat und EMD-Vorsteher Kobelt hervorgeht: «Die Erzeugung von schwerem Wasser in grossem Ausmass namentlich im Werk von Rjukkian während der Besetzung Norwegens stellte nach den zur Verfugung stehenden Berichten eine der wichtigsten Etappen auf dem Weg zur Konstruktion der Atombombe dar.»9 Und zu den Forschungen Hubers im Bereich der Isotopentrennung meinte Zipfel: «Die Isotopentrennung bildet nach den bisherigen Orientierungen die Hauptschwierigkeit bei der Gewinnung des für die Atombombe verwendbaren Uranisotops.»10 Die Äusserangen Zipfels belegen, dass die anfängliche Förderung der Atomforschung primär von militärischen Überlegungen und Zielsetzungen geprägt war. Die Forschungsförderung wurde in dieser Phase aber kaum geführt oder koordiniert. Institute verschiedener Universitäten setzten sich mit dem Problem der Atomzertrümmerung auseinander, und auch Firmen wie BBC oder Sécheron begannen sich damit zu beschäftigen. Diese für die Schweiz typische föderalistische, privatwirtschaftliche und unkooperative Struktur war eine äusserst schlechte Ausgangslage für eine erfolgreiche Atomtechnologie, welche - wie ausländische Beispiele gezeigt haben - technologische Grossprojekte bedingt. Aus diesem Grund wandte sich Zipfel im August 1945 an den EMD-Chef und schlug eine Besprechung mit dem Generalstabschef Oberstkorpskommandant de Montmollin und dem Chef der Kriegstechnischen Abteilung (KTA), Oberstbrigadier von Wattenwyl, vor." A.a.O., S. 67; Schweizerisches Bundesarchiv (BAR), E 27 19038, Bd. 1, Brief Zipfel an Bundesrat Kobelt vom 20.8.1945. 9 BAR, E 27 19038, Bd. 1, Brief Zipfel an Kobelt vom 14.9.1945. " A.a.O., Brief Zipfel an Kobelt vom 20. 8.1945. 124 In einem geheimen Schreiben an das EMD im September 1945 äusserte sich die KTA erstmals zu dieser Thematik und hielt fest: «Unsere Informationen über die Eigenschaften, Wirkungen und Produktionsmöglichkeiten der Atombomben müssen erweitert werden. Dafür empfiehlt es sich, eine leitende wissenschaftliche Kommission einzusetzen, welche alle Aspekte des Problems bearbeitet, also nicht nur die Uranbombe als Kriegsmaterial, sondern auch die Möglichkeit der Verwendung von Atomenergie für andere Zwecke.»12 Als Präsident für die wissenschaftliche Kommission sollte Professor Scherrer gewonnen werden. Diese Äusserungen des Chefs der KTA zeigen, wie spätestens nach dem Abwurf der Atombomben (1945) die militärischen Interessen an der Atomenergie aus dem Schattendasein der Kriegsjahre hinaustraten und nun zum Motor für die weitere kernphysikalische Forschung wurden. Die Förderung der Atomenergie sollte dabei getarnt, unter dem Deckmantel der rein wissenschaftlichen Forschung, ablaufen. Es wurde also von Beginn an erwogen, die Atomtechnologieförderung zivil zu deklarieren und mittels der Subventionierung so zu lenken, dass eine militärische Option verfolgt werden konnte. Von Wattenwyl leitete diesen Weg ein, weil er davon ausging, dass der atomaren Bedrohung nicht mit konventionellen Mitteln begegnet werden könne, sondern nur mit der Drohung einer möglichen Verwendung derselben Waffen.13 Den Forderungen von Wattenwyls gingen die Vorstösse des Ausbildungschefs der Armee, Oberstkorpskommandants Hans Frick, an Bundesrat Kobelt voraus. Er war es, welcher die Atomwaffendiskussion auslöste und bereits im August eine Studienkommission forderte. Die Landesverteidigungskommission (LVK)15 schloss sich den Anträgen Fricks und der KTA an. Den ver- 12 BAR, E 27 19038, Bd. 1, Geheimes Schreiben der KTA an EMD vom 4.9.1945. 13 A.a.O. 14 BAR, E 27 19038, Bd.l, Brief des Ausbildungschefs der Armee an Bundesrat Kobelt vom 15.8.1945. 125 schiedenen erwähnten Forderungen trug der EMD-Vorsteher bald darauf, am 5. November 1945, Rechnung: «Um die Forschung auf dem Gebiet der Atomenergie zusammenzufassen und zu koordinieren, wurde (...) auf Veranlassung des eidgenössischen Militärdepartementes eine Schweizerische Studienkommission fur Atomenergie [SKA] gegründet.»16 Sie setzte sich zusammen aus Universitätsprofessoren, Beamten aus dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit und aus dem Amt für Elektrizitätswirtschaft. Später kamen Vertreter der Eidgenössischen Finanzverwaltung sowie der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt hinzu. Die KTA war lediglich mit dem Physiker Dr. Krethlow vertreten.17 Noch nicht berücksichtigt wurde zu diesem Zeitpunkt die Privatwirtschaft. Bemerkenswert ist, dass auch das Politische Departement nicht vertreten war, obwohl das Problem der atomaren Bewaffnung ohne Beachtung der aussenpolitischen Aspekte nicht zu lösen war. Zum Präsidenten ernannte Bundesrat Kobelt Professor Paul Scherrer. Im Dezember 1945 erarbeitete die Generalstabsabteilung bereits den Entwurf über die geheimen «Richtlinien für die Arbeiten der SKA auf militärischem Gebiet». Unter Ziffer 3 heisst es: «Die SKA soll als Hauptzweck die Schaffung einer schweizerischen Uran-Bombe oder anderer geeigneter Kriegsmittel, die auf dem Prinzip der Atomenergie-Ver- Die Landesverteidigungskommission (LVK) ist die höchste militärische Instanz. Sie setzt sich zusammen aus den Kommandanten der Armeekorps, dem Kommandanten der Fliegerund Fliegerabwehrtruppen sowie dem Generalstabchef. Sie prägt die schweizerische Militärdoktrin und definiert den Rüstungsbedarf. 16 Schweiz. Bundesblatt (BBl) 1946, II, S. 930, betr. Förderung und Forschung auf dem Gebiete der Atomenergie. 17 Krethlow, A., «Geschichte der Tätigkeit der Schweizerischen Studienkommission für Atomenergie 1946-1958», in Bericht über die Tätigkeit der Schweizerischen Studienkommission för Atomenergie von 1946-1958, Basel, 1960, S. 8. 126 wendung beruhen, anstreben. Es ist zu versuchen, ein Kriegsmittel zu entwickeln, das aus einheimischen Rohstoffquellen erzeugt werden kann.»18 Die Wissenschafter der SKA hatten in der Sitzung vom 12. März 1946 Gelegenheit, zu den militärischen Richtlinien Stellung zu nehmen.19 Bemerkenswert ist, dass in keiner Art und Weise Widerstand gegenüber den Plänen der KTA und der Generalstabsabteilung zum Ausdruck kam. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Wissenschafter sich mit Sicherheit bewusst waren, dass zwischen der Prüfung einer möglichen Nuklearbewaffnung und deren Realisierung eine riesige Kluft bestand. Zudem waren sie mit einer Vorgabe konfrontiert, an deren möglichen Umsetzung sie eher zweifehl mussten: Das EMD wollte in ihren Atomwaffenplänen von Beginn weg das Kriterium der Autarkie erfüllt haben. Unmittelbar nach dem Krieg schienen Bemühungen für eine schweizerische Nuklearwaffenentwicklung politisch nicht durchsetzbar zu sein, so dass das EMD die militärischen Arbeiten geheim halten und deren Finanzierung verbergen wollte. In einem Brief an den EMD-Vorsteher machte Otto Zipfel schon vor der Gründung der SKA darauf aufmerksam, wie die militärischwissenschaftliche Zusammenarbeit einer politischen Kontrolle entzogen werden könnte: «Falls für die Atomforschung Mittel des Bundes über die von Herrn Prof. Scherrer zu bildende Kommission zur Verfügung gestellt werden sollen, so dürfte dies am besten durch Anwendung von Art. 19 des Réglementes vom 3. Februar 1944 geschehen. Es ist dort vorgesehen, dass das eidg. Militärdepartement Forschungsaufträge erteilen kann, die, falls militärische Interessen berührt werden, der Kommission fur wissenschaftliche Forschung nicht vorgelegt werden brauchen.»20 Der von Zipfel vorgeschlagene Weg wurde im Februar 1946 gewählt. Der Bundesrat bewilligte gemäss den Forderungen des EMD 500'000 Franken für die Arbeiten der SKA aus den Mitteln der Arbeitsbeschaffung zur Förderung BAR, E 27 19038, Bd. 3, Richtlinien (Entwurf für die Arbeiten der SKA auf militärischem Gebiet des EMD) v o m 26.12.1945. 19 Hug, Peter, op. cit., 1987, S. 77. 20 BAR, E 27 19038, Bd. 1, Brief Zipfel an Kobelt v o m 1.11.1945. 127 der wissenschaftlichen Forschung, ohne dass übrige Bundesstellen informiert wurden. Das Finanzdepartement forderte jedoch, dass für weitere Kredite ein Beschluss der Bundesversammlung vorliegen müsse. Die öffentliche Diskussion, die Zipfel vermeiden wollte, war also doch nicht zu umgehen. Im Schnellverfahren Hess das EMD eine Botschaft ausarbeiten, in der das Arbeitsprogramm der SKA umrissen wurde.22 Die friedliche Nutzung der Atomenergie wurde darin eindeutig in den Vordergrund gestellt, wenn auch immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass der Atomenergie eine ausserordentliche Bedeutung für die Landesverteidigung zukomme und dass die wirtschaftliche und militärische Anwendung der Atomenergie auf unglückliche Weise miteinander gekoppelt seien. Was in der Botschaft nicht zum Ausdruck kommt, sind die geheimen Richtlinien des EMD für die Arbeiten der SKA. Obwohl diese Richtlinien verschwiegen wurden, fiel die Botschaft in einem ersten Anlauf beim Ständerat in der Herbstsession von 1946 durch.24 Die Atomtechnologieförderung an sich, welche der Bund anstrebte, wurde nicht angegriffen, wohl aber die Begründungsversuche in der bundesrätlichen Botschaft, welche vor allem als zu militärlastig angesehen wurden. Zudem schimmerte in der Botschaft eine undurchsichtige Verknüpfung von militärischen und wirtschaftlichen Interessen durch, die Friedrich Traugott Wahlen zu heftiger Kritik bewog: «Ich bin nun der festen Überzeugung, dass sich die in der Schweiz durchgeführten wissenschaftlichen Arbeiten strikte auf die Grundlagenforschung und die Auswertungen auf wirtschaftlichem Gebiet beschränken sollten, selbstverständlich unter Einbezug rein militärischer Defensivvorkehren, aber unter bewusstem und ausgesprochenem Verzicht auf die Entwicklung und Herstellung von Atombomben.»25 Auf die Ausführungen Wahlens versuchte Bundesrat Kobelt schlichtend einzuwirken. Er betonte, dass die Nutzung der Atomenergie in erster Linie der 21 BAR, E 27 19039 Bd. 4. 22 BBl 1946, II, S. 930, betr. Förderung der Forschung auf d e m Gebiete der Atomenergie. 23 A.a.O., S. 929 u. 932. 24 Sten. Bull. StR 1946, S. 273. 25 A.a.O., S. 267. 128 Volkswirtschaft und nicht militärischen Zwecken zugute kommen sollte.26 Trotz dieser Beschwichtigungsversuche fiel der Bundesbeschluss durch. Dazu hat vielleicht Bundesrat Kobelt selbst beigetragen, als er in seiner äusserst unklaren Stellungnahme verlauten Hess, dass «unser Ziel vor allem die Verwendung der Atombombe zu wirtschaftlichen Zwecken ist».27 Acht Tage später kam die Vorlage erstaunlicherweise ohne irgendwelche Modifikationen erneut vor den Ständerat. Kobelt versuchte nicht, auf die geplanten Abklärungen bezüglich einer Nuklearbewaffnung zu reden zu kommen, sondern unterstrich von neuem, dass «die Schweiz grosses Interesse daran habe, dass in künftigen Kriegen die Atombombe nicht zur Anwendung [komme]».28 Die militärischen Interessen ortete Kobelt vor allem im Zusammenhang mit der Schutzforschung. Diese stellte sicherlich ein reales Bedürfnis dar, fungierte in der Rede Kobelts aber als Legitimationshilfe. Mit den gleichen Versprechungen gelang es ihm, auch den Nationalrat zu überzeugen,29 so dass mit dem Bundesbeschluss vom 18. Dezember 1946 der Atomforschung für die ersten fünf Jahre schliesslich der respektable Betrag von 18 Millionen Franken zur Verfügung stand. B. Die verzweifelte Suche nach Uran Die schmale Rohstoffbasis in der Schweiz stellte nach Kriegsende einmal mehr ein schwerwiegendes Problem dar. Solange die Uranbeschaffung nicht gesichert werden konnte, schwebten sämtliche Projekte - sei es zur militärischen oder friedlichen Nutzung der Atomenergie - in der Luft. ° Um dieses Handicap zu überwinden, beschritt die SKA gleichzeitig verschiedene Wege. Anfänglich hätten vor allem folgende drei Methoden zum Ziel führen sollen: 26 A.a.O., S. 2 7 1 . 27 A.a.O., S. 272. 28 A.a.O., S. 295. 29 Sten. Bull.NR 1946, S. 1039-1047. 30 Nach d e m Besuch eines internationalen, nicht-öffentlichen Kongresses über Atomforschung informierte Professor Paul Scherrer EMD-Vorsteher Kobelt a m 25.9.1946: «Es sei völlig ausgeschlossen, auch n u r die geringsten Quantitäten von Uran aus d e m amerikanischen Einflussgebiet zu erhalten, eventuell aber aus d e m russischen.» BAR, E 27 19038 Bd. 1. 129 1. Ein nationales Prospektionsprogramm, um eigene Uranlagerstätten aufzufinden und zu erschliessen, mit dem Ziel, eine gewisse Autonomie in der Rohstoffbeschaffung zu erreichen. 2. Die Grundlagenforschung zu intensivieren mit der Hoffnung, weitere Elemente zu finden, die sich für die Kernspaltung eigneten und auch in der Schweiz auffindbar sein könnten. 3. Anstrengungen, Uran im Ausland oder sogar auf dem Schwarzmarkt zu beschaffen. Informationen über mögliche Quellen zur Uranbeschaffung wurden vom Eidgenössischen Politischen Departement (EPD) meist nicht selbst ausgewertet, sondern an Professor Scherrer weitergeleitet, dessen Stellungnahme massgeblich war. So auch im November 1946, als das EPD Professor Scherrer unterbreitete, dass die Tschechoslowakei für einen Erfahrungsaustausch im Bereich der Atomforschung bereit sei und der Schweiz neun Tonnen Uran liefern könnte.32 Das auf den ersten Blick aussichtsreiche Angebot lehnte Scherrer aber kategorisch ab: «Es waren schon mehrmals Professoren aus der Tschechoslowakei bei mir im Institut, welche sehr darauf drängten, einen Erfahrungsaustausch auf dem Gebiete der Atomphysik anzubahnen. Da diese Herren uns aber rein nichts zu bieten haben (...), so habe ich bis jetzt in dieser Richtung nichts unternommen. Alle diese Herren haben mir versichert, dass die Regierung ihres Landes völlig inkompetent sei und dass nur die russische Regierung darüber entscheiden könnte.» Eine effektive Zusammenarbeit wäre 1947 beinahe mit der Volksrepublik China zustande gekommen, welche die Schweiz als einer der ersten nichtkommunistischen Staaten bereits 1950 anerkannte. Die Initiative ging von Bundesrat Kobelt aus, welcher zusammen mit dem chinesischen Staatschef Chiang Kai-Chek die Entsendung eines schweizerischen Geologen-Teams 31 Winkler, Theodor, Kernenergie und Aussenpolitik. Die internationalen Bemühungen um eine Nichtverbreitung von Kernwaffen und die friedliche Nutzung der Kernenergie in der Schweiz, Berlin, 1981, S. 54. 32 BAR, E 27 19038, Bd. 7, EPD an Scherrer, 15.11.1946. 33 BAR, E 27 19038, Bd. 7, Scherrer an EPD, 29.11.1946. 130 einleitete, mit dem Ziel, die Chinesen bei der Uranerzschürfung zu unterstützen und als Gegenleistung eine Uranerzlieferung auszuhandeln.34 Dass die Mission nicht entsandt werden konnte, ist der amerikanischen Diplomatie zuzuschreiben, die, wo immer möglich, den Uranhandel zu ihren Gunsten zu beeinflussen versuchte. Die USA hatte sich im entscheidenden Moment in die schweizerisch-chinesische Angelegenheit eingeschaltet und China selbst ihre Hilfe im Bereich der Atomforschung angeboten, worauf auf chinesischer Seite das Interesse an einer schweizerischen Mitwirkung auf Null sank.35 Den Aktivitäten der SKA oder des EMD, die auf die Beschaffung von Uran abzielten, fehlte ein klares Konzept. Man schien wie besessen darauf zu sein, endlich eine gewisse Menge von Uran zu besitzen. Die Herkunft des Materials war von untergeordneter Bedeutung. So auch im Frühjahr 1949, als ein Angebot aus Deutschland vorlag. Der Schweiz wurde von einem deutschen Staatsangehörigen über das schweizerische Generalkonsulat in München 125 Kilogramm Uran zu einem Preis von 30'000 US Dollars pro kg angeboten. Das Uran war angeblich «während des Zusammenbruchs des Dritten Reiches aus unterirdischen Gewölben des Bormann-Hauses36 in Berchtesgaden von dem Anbietenden und zwei Helfern entwendet worden ». Kobelt wäre zu einem Kauf bereit gewesen, wenn der Preis pro Kilogramm nicht höher als 500 Franken gewesen wäre. Das Geschäft kam jedoch nicht zustande, da sich die amerikanische Criminal Investigation Division (C.I.D.) bemühte, den Besitzer des Urans ausfindig zu machen. Das schweizerische Generalkonsulat in München riet jedenfalls Bundesrat Kobelt, sich von der Uranbeschaffung zu distanzieren, um das schweizerische Prestige zu wah- 34 BAR, E 2 7 19043, E P D an Kobelt, 11.7.1947, Dossier «Entsendung einer Studienkommission der ETH nach China zur Schürfung nach Uranerz». 35 BAR, E 2 7 19043, E P D an Kobelt 24.11.1947. 36 Martin Bormann war seit 1930 in der obersten Parteiverwaltung der N S D A P tätig. 1943 «Sekretär des Führers». 1946 wurde er v o m Nürnberger Gerichtshof in Abwesenheit z u m Tode verurteilt. 37 BAR, E 27 19043, Schweiz. Generalkonsulat in München an E M D , 22.4.1949. 38 BAR, E 2 7 19043, Kobelt an das Schweiz. Generalkonsulat in München, 9.6.1949. 131 ren. Gegen Ende der vierziger Jahre konnte aber doch noch eine geringe Menge Uran aus Westdeutschland bezogen werden. «Es wurde von einem nicht genannten Verkäufer über einen Zwischenhändler in zwei Chargen bezogen - im Jahr 1948 50 kg, 1950 42 Kilogramm reines Uranoxid.»40 Auch während der fünfziger Jahre unternahm die SKA zahlreiche Anstrengungen, um in den Besitz von Uran zu gelangen. Im Sommer 1950 handelte der Chef der KTA mit Dr. C. F. Costa von der portugiesischen Firma Calmor einen Vertragsentwurf aus. In diesem war die Lieferung von 25 Tonnen Wolfram- und Zinn-Erz vorgesehen. Der Rohstoff hätte von der Schweizerischen Reederei AG nach Basel transportiert und anschliessend raffiniert werden sollen. Zu einem Vertragsabschluss scheint es aber nie gekommen zu sein.41 Mit den beiden Ländern Südafrika und Indien, von denen man heute weiss, dass sie ihre Atomwaffenpläne erfolgreich realisierten, knüpfte die Schweiz ebenfalls Kontakte. Um eine Lieferung von Uran zu erwirken, hätten spezielle kernphysikalische Instrumente an Indien geliefert werden sollen. Gemäss den Aussagen des schweizerischen Gesandten in New Delhi soll zwischen den beiden Parteien eine vollständige Einigung erzielt worden sein. Leider fehlen Hinweise über den Inhalt dieser Einigung. Eine Uranlieferung scheint nie zustande gekommen zu sein. Möglicherweise hat ein wissenschaftlicher 39 BAR, E 27 19043, Schweiz. Generalkonsulat in München an Kobelt, 27.6.1949. Kollert, Roland, Die Politik der latenten Proliferation. Militärische Nutzung «friedlicher» Kerntechnik in Westeuropa, Wiesbaden, 1994, S. 352; BAR, 5150 (B) 1968/10, Bd. 2 1 1 . 41 BAR, 5150 (B) 1968/10, Bd. 136, von Wattenwyl an Edgar Brunner, Gesandter in Lissabon, 17.4.1950, von Wattenwyl an Direktor Jaquet, Schweizerische Reederei A G , von Wattenwyl an die Eidg. Finanzverwaltung, 7.6.1950. 42 BAR, 2001 (E) 1969/21, Bd. 2, Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) an Minister Dr. A. Däniker, Gesandter in New Delhi, 19.6.1951. 43 BAR, 2001 (E) 1969/21, Däniker an die Handelsabteilung des EVD, 25.8.1951. 132 Informationsaustausch stattgefunden. Im Falle von Südafrika ist der Ausgang der Kontakte ebenfalls unbekannt.44 Erfolgversprechend schienen die Verhandlungen mit dem französischen Atomkommissariat (CEA) im August 1951. Haut Commissaire Professeur Perrin erklärte sich bereit, der Schweiz die notwendige Menge von Uran und Graphit für den Bau eines Atomkraftwerkes zur Verfügung zu stellen. Weshalb die weiteren Verhandlungen scheiterten, bleibt unklar. Es dürfte der Tod des CEA-Chefs im Spätsommer 1951 dafür mitentscheidend gewesen sein. Die Uranprospektion in der Schweiz nahm bis zum Ende der fünfziger Jahre, bis zum eigentlichen Beginn der schweizerischen Atomwaffenpläne, eine untergeordnete Rolle innerhalb der SKA ein. Die ersten Geländeuntersuchungen im Alpenraum erwiesen sich als amateurhafte Exkursionen einzelner Geologieprofessoren mit deren Studenten.45 Von einer systematischen geologischen Untersuchung der Uranvorkommen in der Schweiz war man noch weit entfernt. Diese wurde erst ab 1956 eingeleitet. Die Initiativen gingen von unterschiedlichen Kreisen aus. Neben den Industriefirmen Aluminium Industrie AG, Grande Dixence SA, Lonza AG und Eisenbergwerke Gonzen AG prospektierte vor allem der «Arbeitsausschuss zur Untersuchung schweizerischer Mineralien und Gesteine auf Atombrennstoffe und seltene Elemente» nach Uran. Diese Kommission wurde 1956 gegründet, um die Uranprospektion vorwiegend im Wallis zu intensivieren. Die Bundesmittel flössen über den Schweizerischen Nationalfonds zu. Diese Lösung brachte dem EMD einerseits eine finanzielle Entlastung, andererseits den Prospektionsarbeiten nicht den Anschein, mit militärischen Zielsetzungen verknüpft zu sein. Das verstärkte Interesse an der Uranprospektion von Seiten des EMD und der Industrie gegen Ende der fünfziger Jahre hat verschiedene Hintergründe: Die 44 BAR, 2001 (E) 1969/21, Paul Scherrer an Minister Pierre René Micheli (EPD), 28.5.1954. 45 de Quervain, F./Hügi, Th., «Arbeitsausschuss für die Untersuchung schweizerischer Mineralien und Gesteine auf Atombrennstoffe und seltene Elemente», in Bericht über die Tätigkeit der Schweizerischen Studienkommission fir Atomenergie von J946-1958, Basel, Stuttgart, I960, S. 63. 46 BAR, E 5001 (G) 1986/107, Bd. 9. 133 Atomwaffenpläne der Generalstabsabteilung wurden erst in diesem Zeitraum richtig eingeleitet. Die industriellen Interessen hingegen sind auf den Bau des schweizerischen Versuchsreaktors Diorit zurückzuführen, welcher den Durchbruch in der zivilen Atomenergie einleitete. Bis zum heutigen Zeitpunkt wurden in der Schweiz keine Uranvorkommen gefunden, welche eine wirtschaftliche Nutzung zugelassen hätten.47 Auch für militärische Zwecke erwiesen sich die Urankonzentrationen als bescheiden. Für den Bau einer Nuklearwaffe hätten sie aber verwendet werden können.48 III. Veränderte internationale Konstellationen Im August 1953 hatte die Sowjetunion die erste Wasserstoffbombe gezündet, rund ein Jahr nach den Amerikanern. Damit hatte sie im atomaren Wettrüsten nachgezogen. Diese Situation und vor allem auch der beginnende kommerzielle Konkurrenzkampf im Bereich der Atomtechnologie dürften die USA bewogen haben, sich von der strikten Geheimhaltungspolitik abzuwenden.49 Am 8. Dezember 1953 hielt US-Präsident Eisenhower in der UN-Vollversammlung die legendäre Rede, welche eine Kursänderung in der amerikanischen Nuklearpolitik verriet. Er stellte das «Atoms-for-Peace»-Konzept vor, das nun eine Trennung der friedlichen Atomenergienutzung von der militärischen als möglich beurteilte. Die USA erklärten sich bereit, das Wissen für die friedliche Nutzung der Atomenergie freizugeben. Mit der atomaren Verlockung vermochten die USA, die meisten Weststaaten wie auch zahlreiche Drittweltländer stärker in ihren technischen und damit indirekt in ihren politischen Einflussbereich einzubinden. Länder wie Indien, Pakistan, Taiwan, Argentinien, Brasilien, Südafrika und Südkorea, die heute zu den Nuklearmächten oder zu den nuklearen Schwellenmächten gehören, 47 BAR, E 27 19043, Dossier «Uran». Gemäss Aussagen von Urs Hochstrasser und Walter Winkler in einem Gespräch mit dem Autor vom 8.9.1995. Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute, (Hrsg.), Geschichte der Kerntechnik in der Schweiz. Die ersten 30 Jahre 1939-1969, Oberbözberg, 1992, S. 49. 134 legten in dieser Zeit die Grundsteine für ihre Nuklearwaffenprogramme, die Schweiz vorwiegend für ihre zivile Atomtechnologie.50 A. Die Schweiz in der Atomeuphorie 1. Durchbruch in der Uranbeschaffung Neben den veränderten internationalen Rahmenbedingungen bewirkten auch die französischen Uranangebote, dass die schweizerische Industrie vermehrt Interesse an der Atomenergie bekundete und sich in den militär-wissenschaftlichen Alleingang einschaltete. Die Finnen Brown Boveri, EscherWyss und Sulzer einigten sich mit der von Werner Zünti geleiteten SKAStudiengruppe auf das Projekt III.51 Bei diesem Projekt handelte es sich um einen schwerwassermoderierten Uranreaktor, der lO'OOO Kilowatt Leistung aufweisen sollte. Dazu brauchte der Reaktor sechs Tonnen Uranmetall und zwölf Tonnen Schweres Wasser. Die SKA ging davon aus, dass das Schwere Wasser teils in der Schweiz produziert, teils von der Norsk Hydro im norwegischen Rijukan oder von den USA bezogen würde.52 Frankreich zeigte grosses Interesse am Projekt III und war auch nicht abgeneigt, mit seinen Erfahrungen im Pile-Bau zur Seite zu stehen. Die Abgabe von Uran wurde aber an gewisse Bedingungen geknüpft: Das Plutonium, das in den Uranstäben beim Betrieb der Pile entsteht, sollte Frankreich gehören. 3 Damit stellte Frankreich Bedingungen, welche die Privatindustrie wohl kaum schmerzten, den Interessen der KTA aber klar entgegenliefen. Die KTA hätte das mit Plutonium angereicherte Uran, das für den Bau von Atombomben geeignet ist, gerne in eigenem Besitz gewusst. Trotz dieser Einschränkung stimmte der 50 Winkler, Theodor, Kernenergie und Aussenpolitik. Die internationalen Bemühungen um eine Nichtverbreitung von Kernwaffen und die friedliche Nutzung der Kernenergie in der Schweiz, Berlin, 1981, S. 114. 51 Historisches Archiv des Eidg. Institutes für Reaktorforschung (EIR) in Würenlingen, Ziff. 0 1 2 1 . Zitiert nach H u g (1991), S. 335; B A R , 5150 (B) 1968/10, Bd. 354, Scherrer an von Wattenwyl, 14.3.1953. 52 B A R , 5150 (B) 1968/10, Bd. 354, Scherrer an Kobelt, 31.7.1954. 53 BAR, 5150 (B) 1968/10, Bd. 354, Scherrer an von Wattenwyl, 14. 3.1953. 135 Bundesrat dem Austausch von Uranstäben mit Frankreich zu.54 Damit glaubte die Industrie, die grössten Hürden überwunden zu haben. Im Sommer 1953 hielt BBC-Verwaltungspräsident Walter Boveri eine aufsehenerregende Rede. In dieser sah er die Gründung einer Reaktorgesellschaft der Industrie, der späteren Reaktor AG, mit Beteiligung des Bundes vor. Auf diese Weise hatte Boveri, der sich ausschliesslich auf die wirtschaftliche Nutzung der Atomenergie ausrichtete, die Initiative an sich gerissen, womit er das bis anhin staatliche Atommonopol aufzubrechen drohte. Die KTA musste befürchten, dass in dem von Boveri vorgeschlagenen Projekt militärische Interessen kaum noch Platz finden würden. Sie versuchte darauf, über die Schweizerische Gesandtschaft in London in eigenen Besitz von britischem Uran zu gelangen. Über die Verhandlungen der Schweiz mit dem französischen Atomenergiekommissariat wurde die britische Regierung sofort orientiert. Dabei wurde nicht verschwiegen, dass die Uranbeschaffung auch im Interesse der schweizerischen Landesverteidigung liege.56 Die britische Regierung reagierte darauf überraschend schnell wie positiv. Sie wollte anscheinend verhindern, dass die aufstrebende und eigenwillige Atommacht Frankreich ihren Einfluss im Bereich der Atomenergie auf dem europäischen Kontinent ausbaute. So gelangte Grossbritannien am 13. April 1954 nach Absprache mit den USA an die belgische Regierung und bat diese, 13,1 Tonnen Uraniumoxid aus Katanga (Belgisch-Kongo) der britischen Regierung zu liefern, um die Verarbeitung der von der Schweiz gewünschten Uranstäbe von insgesamt zehn Tonnen veranlassen zu können. Eine Verarbeitung des Uranerzes hätte aber noch einige Zeit beansprucht, während Frankreich der künftigen Arbeitsgemeinschaft Reaktor AG das Uran sofort hätte liefern können. Diese Situation veranlasste die KTA, Grossbritannien zu bitten, sechs Tonnen metallisches Uran vorgängig zu liefern, um die Geschäfte zwischen Boveri und 54 BAR, 5150 (B) 1968/10, Bd. 354, Scherrer an Kobelt, 31.7.1954; BAR, 5150 (B) 1968/10, Bd. 353. " Boveri, Walter, Ansprachen 56 B A R , 5 1 5 0 (B) 1968/10, Bd. 3 5 3 , Halm, Sektionschef Handelsabteilung, an von Wattenwyl, 28.3.1953. 57 BAR, 2001 (E) 1969/21, Bd. 2. 136 und Betrachtungen, Zürich 1954, S. 84. Frankreich vereiteln zu können. Auch in dieser Frage lenkte die britische 58 Regierung ein. Für das Uran-Dreiecksgeschäft, das eine schweizerische Delegation mit Professor Scherrer an der Spitze aushandelte,59 bewilligte der Bundesrat 3,3 Millionen Franken.60 Die zehn Tonnen Uranmetall trafen nach und nach 1954 und 1955 in der Schweiz ein. Rund fünf Tonnen wurden sofort der Reaktor AG in Würenlingen zur Verfügung gestellt, die übrigen fünf Tonnen wurden in einem Stollen der eidgenössischen Pulverfabrik in Wimmis eingelagert.61 Mit dem Abschluss dieses Dreiecksgeschäftes durfte sich die KTA verschiedener Erfolge erfreuen. Sie hatte erreicht, dass das Uranmonopol weiterhin im Zuständigkeitsbereich der militärischen Stellen blieb. Zudem ging die Menge des erworbenen Urans weit über den eigentlichen Verwendungszweck hinaus, so dass eine Reserve von fünf Tonnen für weitere mögliche militärische Projekte bereit stand. 2. Privatwirtschaftliche Initiative zur Reaktoreigenentwicklung Bereits 1946 wurde in der bundesrätlichen Botschaft betreffend der Förderung der Forschung auf dem Gebiete der Atomenergie ein Zentralinstitut62 in Aussicht gestellt, welches den ersten Versuchsreaktor betreiben sollte. 1953 übernahm, nicht wie vorgesehen, der Staat die Initiative, sondern die Privatwirtschaft. Die Hauptinitianten waren einmal mehr Professor Paul Scherrer sowie Walter Boveri. Ihm gelang es, innert kurzer Zeit zahlreiche namhafte Firmen für die Atomenergie zu gewinnen. Am 1. März 1955 wurde die 59 BAR, 2001 (E) 1969/21, Bd. 2, EPD an den Bundesrat, 9.9.1954. 60 BAR, 2001 (E) 1969/21, Bd. 2, Auszug aus dem Protokoll der Bundesratssitzung v o m 10.9.1954. 61 B A R , 5150 (B) 1968/10, Bd. 4 9 1 , de Montmollin, Generalstabschef, an E M D , 13.7.1955, von Wattenwyl an Scherrer, 15.7.1955. 62 BBl 1946, II, S. 930, betr. Förderung und Forschung auf dem Gebiete der Atomenergie. 137 Reaktor AG mit Sitz in Würenlingen gegründet, an der sich 141 schweizerische Unternehmen beteiligten (49 % Industrie, 31 % Elektrizitätswirtschaft, 20 % Banken, Versicherungen und Finanzgesellschaften).63 In seiner Botschaft betonte der Bundesrat, dass der Versuchsreaktor, später Diorit genannt, «in keiner Weise militärischen Zwecken dienen soll». Kurz nach der Gründung schloss die Reaktor AG mit dem Bund zwei Verträge. Der eine verpflichtete ihn, Bundesbeiträge von 6,8 Millionen zu leisten, der andere fünf Tonnen Uran in Form von gebrauchsfertigen Brennstäben leihweise zu überlassen.65 Weil man davon ausging, dass im Verlauf der Zeit abbauwürdiges Uran in der Schweiz gefunden werde, wurde mit dem Diorit eine Reaktorlinie gewählt, welche die grösste nationale Autarkie im Bereich der Atomenergie gewähren sollte. Gleichzeitig wiederspiegelte die Wahl des Natururanreaktors auch eine militärische Option, wie sie von der Privatwirtschaft keineswegs direkt verfolgt wurde. Es scheint aber plausibel, dass die SKA bei ihren Planungsarbeiten im Sommer 1952 den schwerwassermoderierten Natururanreaktor auch aus militärischen Gründen wählte. Dass sich die Privatwirtschaft nun auf dieselbe Linie konzentrierte, konnte der SKA nur recht sein. Jedenfalls produzierte der Diorit in seiner Betriebsphase von 1960-1977 als Nebenprodukt rund 16 Kilogramm Plutonium von sehr hoher Qualität, wie es für militärische Programme benötigt wird.66 Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass der Bund aus konkreten militärischen Überlegungen die Arbeiten der Reaktor AG massgeblich beeinflusst hat. Vielmehr tat sich der Bund mit der Beteiligung an den Industrieaktivitäten schwer, weil sie den liberalen wirtschaftlichen Grundsätzen der Schweiz widersprach. Beim Einstieg in die Atomtechnologie stand bei der Privatwirtschaft eine möglichst grosse Rentabilität ihrer Anstrengungen im Vordergrund, beim Bund das Ziel einer möglichst grossen Unabhängigkeit auf dem Gebiet der Atomenergie. Eine eigentliche militärisch-industrielle Zusammenarbeit, welche gezielt die Option einer Nuklearbewaffnung verfolgt hätte, lässt sich auch in der Phase der beginnenden Reaktoreigenentwicklung nicht nachweisen, lediglich Be- 63 Winkler, Theodor, op. cit., S. 71. 64 BBl 1954, II, S. 892, betr. Förderung des Baues und Betriebes eines Atomreaktors. 65 Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute, (Hrsg.), op. cit., S. 9 1 . 66 NZZ, Nr. 6 8 , 22.3.1988, S. 2 3 . 138 rührungspunkte zwischen militärischen und industriellen Interessen, die aufgrund des schweizerischen Milizsystems vorprogrammiert sind. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre war die Atomeuphorie bei der Industrie bereits gedämpft. Angesichts der Entwicklungsrisiken und der schwer einschätzbaren Marktchancen einer eigenständigen Schweizer Reaktorlinie war die Industrie nicht mehr bereit, für die Reaktor AG Forschungsinvestitionen in Millionenhöhe zu tätigen.67 Die Finanzierung musste zunehmend vom Staate übernommen werden. Bis Ende 1958 kamen der Reaktor AG Bundesbeiträge im Wert von 50 Millionen Franken zu,68 wodurch sich eine Neuregelung der Vertragsverhältnisse aufdrängte. Am 1. Mai 1960 übernahm der Bund die Reaktor AG. Die Forschungsanstalt, die nun den Namen Eidgenössisches Institut für Reaktorforschung (EIR) erhielt, bildete eine Annexanstalt der ETH Zürich und unterstand der Oberaufsicht des Schweizerischen Schulrats.69 Eine Verbindung zum EMD, wie sie in der Anfangsphase bei der Reaktor AG über die SKA bestanden hatte, lässt sich damit nicht mehr nachweisen. Das Mandat der SKA war auf Ende 1958 abgelaufen und wurde nicht mehr erneuert. Die militärischen Interessen drohten, in den neu zu realisierenden Kommissionen verlorenzugehen, da diese sich vorwiegend auf die zivil-wirtschaftlichen Aspekte der Atomenergie konzentrierten. Die SKA sowie die Kommission für Atomwirtschaft verschmolzen auf 1. Januar 1959 zur Eidgenössischen Kommission für Atomenergie. Den Vorsitz übernahm der Delegierte für Fragen der Atomenergie, womit die Förderung der Atomtechnologie vom Militärdepartement an das EPD überging.70 67 Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute, (Hrsg.), op. cit., S. 96 f.; BBl 1957, II, S. 1006 ff., betr. die Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiete der Atomenergie. 68 BBl 1958, II, S. 521 f., betr. weitere Massnahmen zur Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiete der Atomenergie. 69 Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute, (Hrsg.), op. cit., S. 97. 70 Idem, S. 62. 139 B. Übergang zur internationalen Kooperation Kurz nach der Gründung der Reaktor AG fand in Genf vom 8. bis 20. August 1955 die erste internationale Konferenz für friedliche Verwendung der Atomenergie statt. Die euphorische Stimmung gegenüber der Kernenergie färbte vor allem auch auf das Gastgeberland, die Schweiz, ab, welche mitten in der Entwicklung der ersten Reaktorprojekte stand. An der Konferenz stellten die USA der Öffentlichkeit erstmals einen Kernreaktor zur Schau. Dieser Swimming-Pool-Reaktor konnte von der Schweiz nach der Ausstellung dank den Bemühungen von Professor Paul Scherrer erworben und der Reaktor AG zur Verfügung gestellt werden. Damit war die Schweiz das erste Land, das sich einen Forschungsreaktor erwerben konnte. Als Sensation galt auch, dass sich die USA bereit erklärten, der Schweiz leihweise angereichertes Uran zu überlassen, damit der Betrieb des Reaktors gewährleistet war.71 Mit dem Verkauf des Miniatur-Leichtwasserreaktors gelang es den USA, die schweizerische Industrie - bevor der Diorit kritisch wurde - zu zwingen, ihre Forschung auf einen Reaktortyp auszurichten, der zum einen militärisch nicht interessant, zum anderen von angereichertem Uran aus den USA abhängig war und damit unter deren politischen Kontrolle stand. Auf diese Weise beeinflusste die amerikanische Atomtechnologie-Transferpolitik die Reaktortypenwahl in der Schweiz massgeblich und unterlief die auf Eigenständigkeit ausgerichtete Schwerwasserlinie. Während sich Teile der Privatindustrie vermehrt dem wirtschaftlich interessanteren Leichtwasserreaktor zuwandten, verfolgte der Bund weiterhin Reaktortechnologien, die eine möglichst grosse Eigenständigkeit garantieren sollten. Im Sommer 1958 trat die Schweiz der Europäischen Gesellschaft für die Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe (Eurochemic) bei, welche im belgischen Mol ihren Sitz hat. Zum ersten wirtschaftlichen Direktor wurde der Schweizer Rudolf Rometsch ernannt. 1966 begann die Anlage in Mol, welche auf Initiative der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECE) entstanden war, mit der Aufarbeitung von schweizeri- 71 A.a.O., S. 75. 72 Kollert, Roland, op. cit., S. 360 f. 140 schem Brennstoff.73 In den gleichen Zeitraum fällt auch die Beteiligung am Versuchsreaktor Jeep im norwegischen Halden.74 Und rund ein Jahr später entschied sich die Schweiz auch zur Mitarbeit am britischen gasgekühlten Hochtemperaturreaktor Dragon in Winfrith Heath. Die Beteiligung an den OECE-Projekten in Mol, Halden und Winfrith Heath lassen eindeutig die auf Autarkie ausgerichtete schweizerische Reaktorentwicklung erkennen. Die Kooperation fand in dieser Phase vorwiegend mit Ländern statt, die ebenfalls die Natururan-Reaktorlinie wählten. Wenn die Zusammenarbeit auch ausschliesslich aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte, so lässt sich doch nicht von der Hand weisen, dass besonders bei diesen Projekten Kenntnisse erworben werden konnten, die für eine militärische Option verwendbar waren. IV. Bedenken gegen die geltende Konzeption der Landesverteidigung In den späten vierziger Jahren setzte unter Offizieren eine lebhafte Diskussion über die zu befolgende Einsatzdoktrin ein. Eine einflussreiche Zürcher Offiziersgruppe verfocht die Konzeption einer beweglichen Kampfführung im Sinne der «Mobile Defence». Sie widersprach damit der offiziellen Doktrin, welche eine defensive Kampfweise mit dem Ziel des Zeitgewinns und der Schädigung des Gegners vorsah. Als 1950 die Beschaffung von Panzern feststand, konnte eine gewisse Annäherung der verschiedenen Standpunkte erreicht werden. Nachdem das Parlament der Truppenordnung und dem Rüstungsprogramm von 1951 unter dem Eindruck des Koreakrieges zugestimmt hatte, entspannte sich die Diskussion. Doch als sich eine Beruhigung der Weltlage abzeichnete, tauchten Bedenken gegen die hohen Militärausgaben auf. 1954 forderte die Chevallier-Initiative die Halbierung der Mili- 73 BBl 1958, II, S. 565-579, betr. die Genehmigung zweier vom Rate der OECE unterzeichneter Übereinkommen über die Verwendung der Kernenergie fur friedliche Zwecke. 74 BBl 1958, II, S. 469-473, betr. die Beteiligung der Schweiz am gemeinsamen Betrieb des Versuchsreaktors in Halden (Norwegen). 75 Ernst, Alfred, op. cit., S. 181. 141 tärausgaben. Kurz darauf brach erneut eine scharfe Auseinandersetzung über die Einsatzdoktrin aus. Mitverantwortlich dafür war das Aufkommen der taktischen Nuklearwaffen, was die Armeeführung sowie verschiedenste Offiziersvereine veranlasste, die Verteidigungsdoktrin der Schweiz neu zu überdenken. A. Forderungen nach schweizerischen Nuklearwaffen Mitte der fünfziger Jahre wurde in schweizerischen Offizierskreisen vermehrt die Forderung nach einer Nuklearbewaffnung für die Schweizer Armee ausgesprochen. Ins Rollen kam die Diskussion vor allem, nachdem in der «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift» (ASMZ) in mehreren Leitartikeln der Besitz einer eigenen Nuklearbewaffnung als erstrebenswert beurteilt wurde.76 Verstärkt tauchten Bedenken auf, ob es dem Kleinstaat Schweiz, welcher sich auf die Maxime der bewaffneten Neutralität verpflichtete, überhaupt möglich sein würde, sich im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung in Europa ohne Kernwaffenpotential zu behaupten. Die Anhänger einer Nuklearbewaffnung gingen davon aus, dass ein taktisch geführter Atomkrieg kontrollierbar sei77 und dass Nuklearwaffen die Abwehrkraft der Verteidigung enorm steigern könnten. Zudem würde der Besitz dieser Waffen das atomare Vakuum, das die Schweiz darstellte, schliessen. Die neu ausgebrochene Diskussion um die Einsatzdoktrin wurde durch die Gefahren und Möglichkeiten, welche die Atomwaffen darstellten, geprägt und mitbestimmt. Die neuen technischen Kriegsmittel waren aber keineswegs alleine Auslöser des sogenannten Konzeptionsstreites. Die beachtlichen Fortschritte, welche die Nutzung der Kerntechnik in der Schweiz erzielte, färbte mit Sicherheit auf die Diskussion ab und schuf ein Vertrauen in die Atomtechnik. Entscheidender für den Verlauf der Auseinandersetzung dürfte Ende 1954 der Rücktritt von Bundesrat Kobelt gewesen sein, welcher eine zurückhaltende Militärpolitik betrieb. Ganz anders sein Nachfolger, Bundesrat Paul 76 «Krieg mit Atomwaffen», in ASMZ, Oktober 1954, S. 732. 77 Gemäss Aussagen von Hans Senn in einem Gespräch mit d e m Autor v o m 9.8.1995. Senn wies femer darauf hin, dass unter Offizieren erst später die Erkenntnis aufkam, dass ein Atomkrieg zur Eskalation verdammt sei. 142 Chaudet, welcher von den beiden Mitgliedern der LVK, Oberstkorpskommandant Gonard und Oberstdivisionär Züblin, die Überzeugung übernahm, dass die Unabhängigkeit der Schweiz einzig durch eine moderne und bewegliche Armee garantiert werden könne.78 Die Suezkrise, der Ungarnaufstand und der Sputnikschock lösten einerseits eine neue Wehrfreudigkeit aus, andererseits intensivierten sie im gleichen Atemzug die Wehrdiskussion um die Atomwaffen. Im April 1955 besprach sich der Chef der KTA, von Wattenwyl, mit Paul Scherrer im Geheimen und bat ihn, «eine Studie über die Möglichkeit in absehbarer Zeit eigene Kernwaffen zu entwickeln, durchführen zu lassen».79 Wegweisend für den weiteren Verlauf der Diskussion um den Besitz von Atomwaffen und für die Haltung der Landesregierung dürfte der «Bericht des Zentralvorstandes der Schweizerischen Offiziersgesellschaft auf Grund der Studie einer Sonderkommission über die Reorganisation der Armee» gewesen sein, welcher im Mai 1957 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Innerhalb der Sonderkommission standen sich zwei Meinungen gegenüber. Die Kommissionsmehrheit forderte drei Panzerdivisionen, fünf bis sechs motorisierte Infanteriedivisionen und eine moderne Luftwaffe, um den Kampf im Mittelland mobil führen zu können. Die Kommissionsminderheit hingegen legte die Priorität weiterhin auf die Verstärkung des Terrains. Die Kommission war des weitern «einstimmig der Auffassung, dass der Einsatz von eigenen Atomwaffen die bedeutendste Verstärkung unserer Landesverteidigung darstellen würde».81 Im April 1957 wurde den Mitgliedern der LVK ein streng geheimer Bericht des Politischen Departements mit dem Titel «Armes, stratégie et politique atomiques» zugestellt, in welchem unter anderem die Wichtigkeit des Besitzes von Atomwaffen festgehalten wird.82 Kurz darauf folgte der für die LVK 78 Gemäss Aussagen von Gustav Däniker in einem Gespräch mit dem Autor vom 19.7.1995. 79 BAR, E 5155 1971/202, Bd. 103, Besprechung zwischen Scherrer und von Wattenwyl vom 14.4.1955. 80 Bericht des Zentralvorstandes der Schweizerischen Offiziersgesellschaft auf Grund der Studie einer Sonderkommission über die Reorganisation der Armee, 1957, S. 13-22. 81 A.a.O., S. 23. 82 BAR,E9500.52 1984/122, Bd. 10, Armes, stratégie et politique atomiques, 10.4.1957. 143 wegweisende Bericht der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, und im selben Monat wurde den Vertretern der LVK der Aufsatz von Hans Senn, «Die Schweiz im Atomkrieg»,83 vorgelegt, in welchem der Verfasser davor warnte, dass die Schweiz keine Atomwaffen besitze und im Kriegsfall nicht mit solchen Waffen unterstützt werde, da die neutrale Schweiz keiner Mächtegruppe angehöre. Im September lag die erste «Studie für die allfällige Beschaffung eigener Atomwaffen» vor. Diese sah für die Schweiz entweder die Beschaffung von taktischen Atomwaffen aus dem Ausland oder die autonome Beschaffung von Kernwaffen über den Plutoniumweg vor. Dabei wurde in der Studie aber erkannt, dass der Bau einer eigenen GasdiffusionsIsotopen-Trennanlage zur Gewinnung von U 235 die Schweiz vor ausserordentliche technische wie personelle Schwierigkeiten stellen würde. Deshalb wurde für die Realisierung eines Atomwaffenprogramms eine Zusammenarbeit mit anderen westeuropäischen Ländern, «wie Frankreich oder Schweden und später eventuell auch England oder Deutschland», vorgeschlagen. Diese Studie wurde in modifizierter Form in einen umfassenden «Bericht des EMD an den Bundesrat betreffend die Beschaffung von Atomwaffen für unsere Armee» eingebaut. Die Autoren des EMD-Berichtes gingen davon aus, dass ein Verzicht auf Atomwaffen zu einer Schwächung des westlichen Verteidigungsabschnittes führen und die Schweiz als militärisches Vakuum erscheinen liesse, das einen östlichen Angreifer anzöge. Der Bericht endet mit dem Antrag des EMD an den Bundesrat, es sei «zu ermächtigen, grundsätzlich alle notwendigen Schritte einzuleiten, die an das gesteckte Ziel heranführen. Zu diesem Zwecke sei eine den Bedürfnissen entsprechende Organisation zu schaffen, die in der Lage ist, einen Arbeitsplan aufzustellen und die nötigen Kontakte mit den Kreisen der Wirtschaft und Wissenschaft herzustellen.»85 Schweizer Monatshefte, 37, 1957, 1, S. 50. Hans Senn hat sich bereits in dieser Zeit intensiv mit der Problematik der Atombewaffnung beschäftigt. Als Chef der Operationssektion von 1964-1969 prägte er die Abklärungen um eine schweizerische Nuklearbewaffnung massgeblich. 84 BAR, 5560 (C) 1975/46, Bd. 80, Möglichkeit der Fabrikation von Atomwaffen in der Schweiz mit einem Schreiben von Oberst i Gst H. Hess an Oberst i Gst P. Burckhardt, Chef ' der Operationssektion der Generalstabsabteilung, 11.9.1957. 85 A.a.O., S. 35. 144 Um mit anderen Staaten Kontakte knüpfen und Erfahrungen austauschen zu können, forderte das EMD unter Wahrung der neutralitätspolitischen Belange weitgehend freie Hand. In erster Linie wurde an eine Zusammenarbeit oder an eine Lieferung von Kernspaltmaterialien ohne Restriktionen aus Schweden, Frankreich, Belgien, Kanada oder England gedacht. Von den USA oder anderen Ländern sollte in Erfahrung gebracht werden, ob ein «Ankauf von kleinkalibrigen Atomwaffen, Artillerieraketen und von ferngelenkten ballistischen Raketen für Boden-Boden- oder Boden-Luft-Einsatz»86 möglich wäre. Dieser EMD-Bericht, welcher von der Generalstabsabteilung ausgearbeitet wurde, lag der LVK im November 1957 als Entwurf zur Stellungnahme vor. Die Vertreter der LVK brachten keine wesentlichen Korrekturvorschläge an. Die Diskussion drehte sich vor allem um die mögliche Einsatzkonzeption von Atomwaffen. Während Generalstabschef de Montmollin der Überzeugung war, dass die Schweizer Armee keine strategischen Atomwaffen brauchte, meinte Oberstdivisionär Primault, Kommandant der Flieger- und Flabtruppen, dass Flugzeuge nicht immer nur taktisch einzusetzen wären: «Wenn man ein Flugzeug hätte wie beispielsweise die Mirage, die fähig sei, mit Atombomben nach Moskau zu fliegen, so könnte man sich einen Einsatz auch im Feindesland vorstellen.»87 Als einen der heikelsten Punkte des Berichtes beurteilte Generalstabschef de Montmollin den Einsatz von Atomwaffen auf schweizerischem Territorium. Er hielt dabei aber fest, dass es Fälle geben könnte, «in denen wir unbedingt Atomwaffen einsetzen müssten, selbst auf die Gefahr hin, dass die Zivilbevölkerung einen grossen Schaden erleiden würde.» Die LVK rief zu diesem Zeitpunkt ebensowenig wie der Bericht des EMD nach konkreten Massnahmen und Aufträgen, welche eine Eigenproduktion von Nuklearwaffen eingeleitet hätten. 86 A.a.O., s. 35. 87 BAR, 9500.52 1984/122, Bd. 12, Protokoll der LVK vom 29.11.1957. 145 Beschränkte sich die Diskussion um eine schweizerische Nuklearbewaffhung bis anhin vorwiegend auf Expertenkreise, so änderte sich dies im Sommer 1958 schlagartig. Gestützt auf den Bericht der Offiziersgesellschaft und auf die ausführliche Studie des EMD betreffend Beschaffung von Atomwaffen (Rosabuch), sowie geprägt von einer bedrohlichen Weltlage, veröffentlichte der Bundesrat am 11. Juli 1958 eine prinzipielle Erklärung, mit der er eine Atombewaffnung für die Schweizer Armee in aller Deutlichkeit befürwortete: «Es liegt auf der Hand, dass eine mit Atomwaffen ausgerüstete Armee das Land ungleich besser verteidigen kann als Streitkräfte, die nicht über Atomwaffen verfügen. (...) In dem Mass, in dem weitere Länder atomare Bewaffnung einfuhren, würde unsere Armee, im Falle eines Verzichts, in einen Zustand relativer Schwäche verfallen, der - nicht zuletzt im Hinblick auf unsere Lage im Herzen Europas zu schwersten Bedenken Anlass geben müsste.» In einem Kernsatz, abgehoben vom übrigen Text, betrachtete die Regierung die Atomwaffe als Bewahrerin eidgenössischer Werte: «In Übereinstimmung mit unserer jahrhundertealten Tradition der Wahrhaftigkeit ist der Bundesrat deshalb der Ansicht, dass der Armee zur Bewahrung unserer Unabhängigkeit und zum Schütze unserer Neutralität die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen. Dazu gehören die Atomwaffen.»90 Mit diesen Äusserungen trug der Bundesrat die Diskussion in die Öffentlichkeit und leitete eine neue Phase in der Kernwaffendiskussion ein. Offizielle Stellen in Washington äusserten ihre Bedenken und machten darauf aufmerksam, dass es der Schweiz kaum gelingen werde, nukleare Waffen aus dem Ausland zu erhalten.91 Auch die Schweden nahmen den bundesrätlichen Entschluss sofort auf, sahen sie doch eine Analogie zur ihrer Kernwaffendiskus- 89 «Die Frage der atomaren Bewaffnung unserer Armee», in NZZ, Nr. 2042, 12.7.1958, Bl. 1. 90 A.a.O. 91 Abweisender amerikanischer Kommentar z u m bundesrätlichen Beschluss nach Atomwaffen, in Nationalzeitung, 18.7.1958. 146 sion. 92 Am 8. August 1958 schaltete sich auch die russische Tass ein und betonte, dass ein solcher Beschluss der schweizerischen Neutralität widerspreehe. 93 Mit der Erklärung des Bundesrates vernahm die Öffentlichkeit, dass das EMD beauftragt wurde, die Einführung der Atomwaffen zu prüfen. Die Planungsaufgaben und Arbeitsaufträge, welche dem EMD in der Nuklearwaffenfrage erteilt wurden, blieben der Öffentlichkeit aber stets verborgen. Am 23. Dezember 1958 folgte der entscheidende geheime Beschluss, mit dem der Bundesrat die Abklärungen zur Beschaffung von Nuklearwaffen einleitete. Er beauftragte das EMD, die folgenden Punkte zu prüfen: «Die Wirkung von Artillerieraketen und von ferngelenkten Raketen als konventionelle Waffen; die Möglichkeit, Atomsprengköpfe für diese Waffe zu beschaffen; die Möglichkeit, Atomwaffen zu kaufen; die Möglichkeit, Atomwaffen in der Schweiz herzustellen, allenfalls auf dem Wege des Erfahrungsaustausches oder in Zusammenarbeit mit anderen Ländern. Abklärungen, die bei ausländischen Stellen durchgeführt werden müssen, haben unter Wahrung der neutralitätspolitischen Gesichtspunkte und in enger Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Politischen Departement zu erfolgen. Das Eidgenössische Militärdepartement wird ermächtigt, insbesondere auch fur Fragen der Raketen- und Atombewaffnung eine Planungsstelle zu schaffen, und eingeladen, die hierfür notwendigen Anträge zu unterbreiten. Das Eidgenössische Militärdepartement prüft mit dem Delegierten für Fragen der Atomenergie, wie die Forschungen in der Schweiz nach dem Vorhandensein von Uranlagerstätten gefordert und intensiviert werden können, allenfalls mit Unterstützung oder unter Leitung des Bundes.»94 Der dargelegte Beschluss macht deutlich, dass der Bundesrat zu diesem Zeitpunkt in der Frage der Nuklearbewaffnung alle wesentliche Anträge des EMD respektive der Militärdelegation guthiess. Auch am moralisch proble- 92 «Schwedisches Echo auf die Erklärung des Bundesrates», in NZZ, Nr. 2070, 15.7.1958, Blatt 1. 93 «Die Atomfrage in der Schweiz», in NZZ, Nr. 2884, 10.8.1958, Blatt 3 . 94 B A R 5560 (C) 1975/46,. Bd. 4 9 , Bundesratsbeschluss betr. Abklärung der Möglichkeiten zur Beschaffung von Atomwaffen v o m 23.12.1958. 147 matischen Einsatz von Nuklearwaffen im Landesinnem widersetzte sich der Bundesrat nicht. Eine mögliche Atombewaffnung wurde in der Öffentlichkeit zunehmend prolematischer. Nachdem der Bundesrat im Sommer 1958 seine prinzipielle Erklärung hatte verlauten lassen, bewegte dieses Thema in der öffentlichen Diskussion die Gemüter wie kaum ein anderes. B. Die öffentliche Kontroverse Wo der Beginn oder die Wurzeln der schweizerischen Antiatombewegung sind, lässt sich nicht leicht ausmachen. Mit Sicherheit war die Chevallier-Initiative ein wichtiges Moment, das oppositionelle Kräfte gegen die Armee sammeln und mobilisieren konnte. Wenn auch diese Bewegung eher marginal war, so hat sie doch erstmals einen grundsätzlichen Widerstand zur Politik der Aufrüstung gebildet.95 Die Vertreter dieser Bewegung dürften sich später auch vorwiegend zur Antiatombewegung bekannt haben. Als Gründungstag der eigentlichen Bewegung gegen eine schweizerische Atombewaffnung ist der 18. Mai 1958 zu bezeichnen. Damals trafen sich in Bern rund 140 Personen aus pazifistischen, religiösen, politischen und gewerkschaftlichen Kreisen, wobei die Sozialdemokraten vom linken Flügel der Partei etwa einen Drittel der Teilnehmer ausmachten, und gründeten die «Schweizerische Bewegung gegen die atomare Aufrüstung» (SBgaA). Im Oktober konnte der Initiativtext der sogenannten Atomim'tiative I vorgelegt werden: «Art 20bis; Herstellung Einfuhr, Durchfuhr, Lagerung und Anwendung von Atomwaffen aller Art, wie ihrer integrierenden Bestandteile, sind im Gebiete der Eidgenossenschaft verboten.»96 Der radikale Initiativtext drohte die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) zu spalten und forderte den gemässigten Flügel zu Reaktionen gegen 95 Heiniger, Markus, Die schweizerische Antiatombewegung 1958-1963. litischen Kultur, Lizentiatsarbeit, Universität Zürich, 1980, S. 50. 96 Winkler, Thedor, op. cit., S. 156. 148 Eine Analyse der po- die SBgaA heraus. Am 9. Juni 1958 erschien von 36 prominenten Sozialdemokraten eine Erklärung zur Befürwortung der Atomwaffen, deren Schärfe über zahlreiche Stellungnahmen aus militärischen Kreisen hinausging.97 Am Parteitag der SPS im Oktober 1958 in Luzern sollten die Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden. Es gelang aber nur bedingt, die Partei wieder zu einen. Die Parteivorstandsmehrheit vermochte sich durchzusetzen, so dass eine Unterstützung der SBgaA abgelehnt wurde. Hingegen wurde ein Antrag gutgeheissen, der die Lancierung einer eigenen SPS-Initiative vorsah.98 Diese Initiative, die auch als Atominitiative II bezeichnet wird, sprach sich weder für noch gegen eine schweizerische Atombewaffnung aus. Sie verlangte jedoch, dass die Entscheidung zur Ausrüstung der Armee mit Atomwaffen dem obligatorischem Referendum unterstellt werde. Die Befürworter von Atomwaffen waren in den verschiedensten Kreisen vorzufinden. In der Neuen Zürcher Zeitung meldeten sich vor allem militärische Persönlichkeiten zu Wort, aber auch Wissenschafter und kirchliche Vertreter stellten sich in verschiedenen Artikeln gegen die Atominitiativen. Publizistisch sehr aktiv waren der «Verein zu Förderung des Wehrwillens und der Wehrwissenschaft» (VFWW) sowie der «Schweizerische AufklärungsDienst». Besondere Beachtung fand der Artikel «Nuklearwaffen», welcher im Neujahrsblatt der traditionsreichen Feuerwerker-Gesellschaft abgedruckt wurde. Der Autor war Major Rudolf Sontheim, Regimentskommandant und Direktor der Reaktor AG. Als gangbaren Weg zur Herstellung von Atomwaffen in der Schweiz erachtete er die Plutoniumlinie: «Die Produktionsmethoden für Pu 239 sind am besten bekannt. Deren autarke technische Realisation dürfte mit dem relativ geringsten Forschungsaufwand möglich sein.»99 Ob diese optimistische Einschätzung zutraf, muss bezweifelt werden, denn die Kenntnisse in diesem Bereich waren in der Schweiz noch äusserst schmal, auch wenn Sontheim meinte, dass die Erfahrungen von Würenlingen weitgehend genutzt werden könnten. 97 Schweiz. Metall- und Uhrenarbeiter-Zeitung, 24, 11.6.1958. Epple-Gass, Rudolf, Friedensbewegung und direkte Demokratie in der Schweiz, Frankfurt a. M., 1988, S. 47. 99 Sontheim, Rudolf, «Nuklearwaffen», in Neujahrsblatt der Feuerwerker-Gesellschaft, Zürich, 1959, S. 27. 149 In die erhitzte Atombombendebatte trat indirekt auch die LVK ein. Im Mai 1959 beriet sie über das Dokument «Heft fur Information und Dokumentation», eine Sonderausgabe der Generalstabsabteilung, welche im Juli 1959 die Einheitskommandanten erhielten. Dieses Informationsblatt sollte dem Einheitskommandanten dazu dienen, einerseits die Truppe über den Stand der Kernwaffen und deren Wirkung zu informieren, andererseits diese von der Notwendigkeit einer eigenen Nuklearbewaffnung zu überzeugen. Das Dokument war keineswegs nur als Informationsblatt gedacht, sondern auch als Gesprächsanleitung, um bei einer Aussprache vor der Truppe überzeugt gegen die Atominitiative I Stellung nehmen zu können.101 Aus den Protokollen der LVK wird deutlich, dass sich führende Militärpersönlichkeiten wie auch der Bundesrat schwer damit taten, gegenüber der Öffentlichkeit eine einheitliche Haltung in der Atomwaffenfrage einzunehmen. Eine gewisse Verunsicherung schien sich breit zu machen. Nach ihrer Erklärung vom Sommer 1958 hielt sich die Landesregierung eher fern vom Abstimmungskampf. Bis der Bundesrat sich zur Atominitiative I äusserte, Hess er sich gut zwei Jahre Zeit. In seinem Bericht vom Sommer 1961 betonte er, dass er sich die Einführung von Atomwaffen keineswegs wünsche, die Handlungsfreiheit aber unter allen Umständen bewahren müsse.103 Am 1. April 1962 sprach sich das Volk mit 537*138 zu 286'895 Stimmen gegen die Atominitiative I aus. Vier Kantone stimmten der Initiative zu: das Tessin nur knapp, die Kantone Waadt, Genfund Neuenburg aber deutlich. Am 26. Mai 1963 wurde auch die Atominitiative II deutlich verworfen. 451328 (62,2 %) Stimmende lehnten das Begehren ab. Mit 274'061 (37,8 %) Befürwortern vermochte die Initiative der SPS doch einen gewissen Beach- 100 B A R , E 9500.52 1984/122, Bd. 18, Protokoll der L V K v o m 879.5.1959. 101 Der SBgaA verurteilte diese Informationsschrift, weil sie sich nicht n u r a u f militärische Fragen beschränkte, sondern Argumente gegen die Atominitiative I lieferte. Nationalrat A r nold reichte dazu eine Kleine Anfrage ein, in der er hinterfragte, ob die Informationsschrift der Generalstabsabteilung veine geeignete Methode der demokratischen Meinungsbildung» sei. Heiniger (1980), S. 102. 102 BAR, E 9500.52 1984/122, Bd. 20, Protokoll der LVK vom 26.11.1959. 103 BBl 1961, II, S. 221, betr. Bericht des Bundesrates über das Volksbegehren für ein Verbot von Atomwaffen. 150 tungserfolg zu feiern, der jedoch gegenüber der SBgaA nur gering grosser war. Auch diese Initiative fand erneut Unterstützung durch die Kantone Tessin, Waadt, Neuenburg und Genf. Hinzu kam noch der Halbkanton BaselStadt.104 Der Bundesrat und die Befürworter einer Atombewaffnung hatten ihr Ziel erreicht. Ihnen ging es im Abstimmungskampf darum, der Schweiz die Option einer Nuklearbewaffnung offenzuhalten und sich auf keinen Fall die Hände binden zu lassen. In der eisigsten Zeit des Kalten Krieges hatten die Initiativen keine Chance. Der Bau der Berliner Mauer und die Kubakrise machten die Ost-West-Gegensätze wie in nie zuvor gehabter Art bemerkbar. V. Von der Idee einer eigenen Nuklearbewaffnung zum Atomsperrvertrag A. Die geheime Fortsetzung der nuklearen Option Im März 1960 legte der Delegierte für Fragen der Atomenergie der Generalstabsabteilung den Tätigkeitsbericht über die Uranprospektionen vor. Der Bericht hält fest, dass günstige Uranvererzungen vor allem im Raum der Walliser Fundorte Le Fou, Grand, Alou und Naters10 vorgefunden worden seien. Der Delegierte erachtete die Erforschung eigener Uranvorkommen als im nationalen Interesse stehend, und zwar in erster Linie nicht wegen eines möglichen Atomwaffenprogramms, sondern wegen der Versorgung der Atomkraftwerke, deren Baubeginn im Verlauf der sechziger Jahre erwartet wurde.106 Die Generalstabsabteilung vermochte aus dem Bericht lediglich die Erkenntnis zu gewinnen, dass ein Abbau der Uranvorkommen zu militärischen Zwecken möglich, aus finanziellen Gründen aber kaum durchsetzbar 104 Epple-Gass, Rudolf, op. cit., S. 44 f. 105 BAR, 5560 (C) 1975/46, Bd. 82. 106 BAR, 5560 (C) 1975/46, Bd. 82, der Delegierte für Fragen der Atomenergie an die Generalstabsabteilung, an die Eidg. Finanzverwaltung und an den Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge, 7.3.1960. 151 wäre. Zu allen übrigen Punkten, welche der geheime Bundesratsbeschluss von 1958 festhielt, wurden noch keine Abklärungen in die Wege geleitet, so dass Generalstabschef Annasohn im März 1960 sich gezwungen sah, die Initiative an sich zu reissen. Er schlug dem Vorsteher des Politischen Departements vor, ohne auf den Ausgang der beiden Atominitiativen zu warten, den Kauf von Nuklearwaffen aus den USA, der UdSSR, Grossbritannien und Frankreich zu prüfen und eine mögliche Teilnahme am schwedischen Nuklearwaffenprogramm abzuklären.107 Leider kann man aus den Akten nicht entnehmen, ob anschliessend Abklärungen in den genannten Staaten getroffen wurden. Lediglich mit Schweden fanden im Bereich der Atomwaffenfrage Sondierungen statt, jedoch ohne eine produktive Fortsetzung. Ferner ist der geheime Bundesratsbeschluss vom 5. April 1960 als eine nicht zu unterschätzende Zäsur zu verstehen. Der Bundesrat kam dem Vorpreschen des Generalstabschefs nicht entgegen, sondern stellte dessen Forderungen deutlich zurück, indem er beschloss, dass die «zur Beschaffung von Atomwaffen vorgesehenen Abklärungen bei ausländischen Stellen erst auf Grund eines späteren Bundesbeschlusses vorgenommen werden [dürfen]».109 Während der Bundesrat intern erstmals eine gewisse Skepsis gegenüber einer eigenen Nuklearbewaffnung zu erkennen gab, war die Armeeführung weiterhin davon überzeugt, dass eine taktische Nuklearbewaffnung das beste Mittel für den Kleinstaat Schweiz darstellen würde. Dieser Eindruck dürfte sich 1961 einmal mehr durch die weltpolitische Lage verstärkt haben. Die Vertreter der LVK fanden sich wenige Tage nach dem Beginn des Mauerbaus in Berlin zu einer «Aussprache über die militärpolitische Lage» ein. Wie aus dem Protokoll hervorgeht, wurde die Situation als äusserst 107 BAR, E 5001 (G) 1986/107, Bd. 2, EMD an den Vorsteher des EPD (ohne Datum). 108 BAR, 5560 (C) 1975/46, Bd. 80, der Chef des Rechtsdienstes an den Generalstabschef, 1.2.1957. 109 BAR, E 5001 (G) 1986/107, Bd. 2, Auszug aus dem Protokoll der Bundesratssitzung vom 5.4.1960. 110 BAR, E 9500.52 1984/122, Bd. 29, Protokoll der LVK vom 23./24.8.1961. 152 «gefährlich» beurteilt. Insgesamt war sich die Militärführung darüber einig, dass ein Konflikt zwischen Ost und West in absehbarer Zeit bevorstehen werde. Im April 1963 hatte die Untergruppe Planung eine Studiengruppe1" damit beauftragt, die Möglichkeit einer eigenen Atomwaffenproduktion zu untersuchen. Es ging in erster Linie darum, die «Grössenordnung des Aufwands in wissenschaftlicher, technischer, personeller, finanzieller und zeitlicher Hinsicht festzustellen».112 Am 15. November 1963 legte der Generalstabschef der LVK den sogenannten MAP-Bericht («Möglichkeiten einer eigenen Atomwaffenproduktion») vor.113 Darin wurde das Schwergewicht aufgrund der knappen Mittel vor allem auf den operativen und nicht auf den strategischen Einsatz der Nuklearwaffen gelegt. Zur Herstellung kämen nach Ansicht der Experten zwei Wege in Frage: jener über hochangereichertes Uran oder jener über das Plutonium. Bei der Lösung über hochangereichertes Uran erschien eine Anreicherungsanlage auf der Gasdiffusionsmethode jenseits der finanziellen und personellen Möglichkeiten. Hingegen wurde die Zentrifugenmethode als gangbarer Weg beurteilt. Auch der Plutoniumweg wurde von den Experten nicht ausgeschlossen, aber als sehr kostspielig bezeichnet. Für die Atomwaffenproduktion auf der Basis von hochangereichertem Uran rechnete man mit einem Kostenaufwand von 750 Millionen Franken. Die erste Bewaffnungsstufe (50 Fliegerbomben zu 60 bis 100 Kilotonnen und 50 Artilleriegeschosse zu fünf Kilotonnen) könnte nach etwa 13 Jahren erreicht werden. Die Autoren kamen gemäss ihren Schätzungen zum Schluss, dass «eine Atombewaffnung wahrscheinlich im Rahmen der Möglichkeiten der Schweiz»114 liegen würde. ' " Der aus Wissenschaftern gebildeten Studiengruppe gehörten die folgenden drei Physiker an: Paul Schmid, Walter Winkler (Generalstabsoffizier und späterer Kommandant der Festungsbrigade 23), Urs Hochstrasser (Delegierter des Bundesrates für Atomenergie, später Direktor des Bundesamtes für Bildung und Wissenschaft). 112 BAR, E 9500.52 1984/122, Bd. 37, der Generalstabschef an den Chef des EMD zuhanden der Mitglieder der Landesverteidigungskommission, 18.10.1963. 113 BAR, E 5001 500 (G) 1986/107, Bd. 9, Möglichkeiten einer eigenen Atomwaffenproduktion, 15.11.1963. 153 Der MAP-Bericht war eine erste Arbeitsgrundlage, die noch nicht detailliert zu einzelnen Projekten oder Bauten Stellung nahm. Auch war noch nicht entschieden, ob die Atomwaffenproduktion auf dem Weg des angereicherten Urans oder des Plutoniums zu erfolgen habe. Aus diesem Grunde schlugen die Verfasser weitere Arbeiten und Abklärungen auf folgenden Gebieten vor: Uranprospektionen, Entwicklung von Uranzentrifugen, Extraktionsverfahren für Plutonium, Zusammenarbeit mit dem Ausland, waffentechnische Grundlagenforschung. Diese weiterführenden Studien bezeichneten die Verfasser als notwendig, um definitiv sagen zu können, ob eine eigene Atomwaffenproduktion überhaupt möglich wäre. Sie schlugen eine dreijährige Phase vertiefter Abklärungen vor, welche rund zwanzig Millionen Franken hätte kosten sollen. Bevor der Bundesrat endgültig zu den Anträgen Stellung nahm, forderte er vom EMD eine Studie an, die klären sollte, ob in der Schweiz Kernversuche ohne «eine Gefährdung des menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebens» überhaupt möglich wären.115 Sollte die Möglichkeit von Versuchsexplosionen in der Schweiz nicht bestehen, wollte der Bundesrat die Eigenentwicklung von Atomwaffen fallen lassen und eine Zusammenarbeit mit dem Ausland, insbesondere mit Schweden, einleiten.116 Im April 1964 konnte die Untergruppe Planung der Generalstabsabteilung den Bericht zur «Durchführbarkeit von Atomversuchen in der Schweiz» bereits vorlegen. Die Verfasser waren erneut die Physiker Schmid, Hochstrasser und Winkler. Sie gingen davon aus, «dass für die Durchfuhrung unterirdischer Versuche keine ausserordentlich schwierige Bedingungen zu erfüllen sind.» Als Voraussetzung nannten sie: unbewohnte Gegend, Gestein, das nicht stark zerklüftet ist, nur wenig Grundwasser mit kleiner Fliessgeschwindigkeit sowie stabiles Gestein. Diese Bedingungen glaubten sie, in den Voralpen oder Alpen vorzufinden. Ihrer Ansicht nach wäre es sogar denkbar, 115 BAR, E 9500.52 1984/122, Bd. 38, Protokoll der LVK vom 26.2.1964. 116 BAR, E 5001 (G) 1986/107, Bd. 9, Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des BR vom 18.2.1964. 117 BAR, E 5001 (G) 1986/107, Bd. 9, Durchführbarkeit von Atomwaffenversuchen in der Schweiz, 8.4.1964. 154 «dass bestehende militärische oder zivile Stollensysteme als Ausgangsbasis für das Vortreiben der Zugangsschächte zu den Kavernen verwendet werden können, in denen die Kernwaffenversuche durchgeführt werden sollen»."8 Wenige Wochen später folgte auf die dargelegte Studie zur Durchführbarkeit von Atomversuchen ein weiterer Bericht der Untergruppe Planung. In diesem Bericht wurde vorgeschlagen, wie die im MAP-Bericht geforderten Vorstudien organisatorisch umgesetzt werden könnten. Dabei wurde besondere Sorgfalt darauf gelegt, dass alle Studiengruppen so organisiert würden, dass «nach aussen der Zusammenhang mit dem schweizerischen Atomwaffenproblem möglichst unbemerkbar [bliebe]».11 Im Juni 1964 beriet der Bundesrat über die Anträge des EMD. Erneut wird ersichtlich, dass er sich mit der Atomwaffenfrage äusserst schwer tat. Das Resultat der bundesrätlichen Sitzung war ein farbloser Beschluss, der den Plänen der Generalstabsabteilung weder eine Absage noch eine Zusage erteilte. Der Bundesrat betonte von neuem, dass «das Militärdepartement ermächtigt [werde], die in Zusammenhang mit der Frage der Beschaffung von Atomwaffen notwendigen Abklärungen bei ausländischen Stellen im Rahmen des Bundesratsbeschlusses vom 23. Dezember 1958 vorzunehmen».120 Im gleichen Atemzug unterstrich er aber, dass Kontaktaufnahmen erst erfolgen dürften, wenn die entsprechende Zustimmung vom Bundesrat vorläge. Eine nur halbherzige Lösung traf der Bundesrat auch beim Beschluss zu den Vorstudien. Er beauftragte das EMD, lediglich in zwei Gebieten weitere Abklärungen zu treffen: im Bereich der Uranprospektion und der Verfahren zur Produktion von spaltbaren Stoffen.121 Die Organisation im Bereich der 118 A.a.O. 119 BAR, E 5001 (G) 1986/107, Bd. 9, Vorschläge für die Organisation der vorbereitenden Studien zur Abklärung der Möglichkeit einer eigenen Atomwaffen-Produktion, Untergruppe Planung, 20.4.1964. 120 BAR, E 5001 (G) 1986/107, Bd. 9, Sitzung des Schweizerischen Bundesrates, Auszug aus dem Protokoll, 9.6.1964. 121 A.a.O. 155 waffentechnischen Entwicklung lehnte der Bundesrat vollständig ab. Er wollte «den vom Militärdepartement empfohlenen Apparat in dem Sinne [vereinfachen], dass ein Fachmann der Generalstabsabteilung mit der Abklärung der sich stellenden Fragen beauftragt wird».122 Mit diesem Beschluss wollte der Bundesrat die Ambitionen der Generalstabsabteilung noch nicht zunichte machen. Mit der Auftragserteilung, die aus dem Bundesratsbeschluss hervorgeht, dürfte es dem EMD aber kaum möglich gewesen sein, eine Entscheidungsgrundlage für eine Atomwaffenherstellung auszuarbeiten. Zu dieser Erkenntnis kam auch der Generalstabschef, welcher dem EMD-Vorsteher erklärte: «Ein einzelner Wissenschafter, der isoliert in der Generalstabsabteilung die umfangreichen und komplexen waffentechnischen Probleme zu bearbeiten hätte, könnte auch im günstigsten Falle zu keinem für die Beurteilung der Möglichkeiten einer eigenen Atomwaffenherstellung befriedigenden Ergebnis gelangen.»123 Darüber dürfte sich der damalige Bundesrat wohl auch im Klaren gewesen sein. Ihm ging es anscheinend immer mehr nur noch darum, eine Option offenzuhalten und nicht ein Atomwaffenprogramm einzuleiten. Auf die atomwaffenpolitischen Leitentscheide des Bundesrates, welche nach 1964 gefasst wurden, kann nur kurz eingegangen werden, da für den folgenden Zeitraum aufgrund der Sperrfrist keine Einsicht in die Akten des Schweizerischen Bundesarchivs genommen werden konnte. Als Grundlage für die Beurteilung der weiteren Entwicklung nach 1964 dienten vor allem die Gespräche mit den Protagonisten der damaligen Zeit sowie die Studie von Roland Kollert, «Die Politik der latenten Proliferation». Im Juni 1965 wandte sich das EMD an den Bundesrat und erklärte, dass eine waffentechnische Abklärung nur in einem Team von mehreren qualifizierten 123 BAR, E 5001 (G) 1986/107, Bd. 9, Annasohn an Chaudet, 23.12.1964. 156 Wissenschaftern möglich sei. Zu diesem Zweck schlug das EMD dem Bundesrat vor, eine der folgenden drei Organisationsformen zu wählen: «eine Koordinationsgruppe in der KTA; eine grosse Studiengruppe nach dem Muster des Forschungsinstitutes für militärische Bautechnik; eine Koordinationsgruppe von Spezialisten aus verschiedenen Departementen und der Wissenschaft.»124 Im Oktober desselben Jahres gab der Bundesrat - vermutlich aus Tarnungsgründen - der dritten Variante den Vorzug. Die Arbeitsgruppe sollte sich aus Vertretern derjenigen Departemente und Hochschulinstitute zusammenstellen, die sich ohnehin schon mit der friedlichen Nutzung der Atomenergie befassten. Unter der Verantwortung des Delegierten für Fragen der Atomenergie und mittels einem Verbund militärischer und ziviler Instanzen galt es, folgende Abklärungen zu treffen: «Suche nach Uranvorkommen, Urananreicherung, Physik des schnellen Brüters. Gleichzeitig sollen Fachleute für die Probleme der A-Waffentechnik ausgebildet werden. Die Koordination habe durch einen geheimen Arbeitsausschuss, bestehend aus Vertretern der Generalstabsabteilung, der KTA und des Delegierten zu erfolgen. Die Kosten müssten in den nächsten drei Jahren unter 20 Millionen Franken liegen und durch Budgetkredite beim Delegierten gedeckt werden.»125 Wie im geheimen Bundesratsbeschluss vom 9.6.1964 fällt auch in diesem auf, dass der Bundesrat vorwiegend nur noch jene Anträge des EMD unterstützte, die er mit der zivilen Atomtechnologieentwicklung in Einklang bringen konnte. Zu einer intensiven Verbundsarbeit zwischen zivilen und militärischen Stellen, wie es der Bundesrat gefordert hatte, dürfte es aber nie gekommen sein. Zwar wurden am Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung Arbeiten zum schnellen Brüter eingeleitet und einige Aufträge im Bereich der Ultrazentrifugen an die Industrie vergeben, eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem EMD blieb aber aus, weil es keinen vollamtlichen, qualifizierten Wissenschafter stellen konnte, der als Verbindungsperson zwischen 124 Kollert, Roland, op. cit., S. 374. 125 A.a.O., S. 374. 157 der militärischen und zivilen Seite hätte wirken können.126 Aus diesem Grund muss bezweifelt werden, dass in waffentechnischen Belangen jemals ernsthaft Arbeiten aufgenommen wurden. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass nach 1965 der Bundesrat keine Vorhaben mehr forcierte, welche die Atombewaffnung zum Gegenstand hatten. Zwar nahm der Bundesrat 1966 in seinem Bericht über die Konzeption der militärischen Landesverteidigung noch kurz Bezug auf die Atomwaffenfrage, in der sicherheitspolitischen Konzeption von 1973 wurde die nukleare Option aber endgültig fallen gelassen.128 Damit soll aber nicht besagt werden, dass nach 1966 keine theoretischen Abklärungen bezüglich einer Nuklearbewaffnung mehr unternommen wurden. Das EMD und insbesondere die Generalstabsabteilung sahen sich geradezu gezwungen, die Vor- und Nachteile einer Nuklearbewaffnung weiter zu prüfen, da sie sich in einem Spannungsverhältnis zum sich anbahnenden Atomsperrvertrag und vor allem zum Politischen Departement sahen, welches diesem Vertrag frühzeitig die Unterstützung aussprach. Die Generalstabsabteilung reagierte darauf mit der Bildung der «Arbeitsgruppe Atomsperrvertrag», und der «Studienkomission für strategische Fragen». 1969 wurde zusätzlich noch der «Arbeitsausschusses für Atomfragen» (AAA) gebildet. In dieser Phase waren neben Generalstabschef Gygli der Unterstabschef Planung, Oberstdivisionär Wildbolz, der Chef der Operationssektion, Oberst Senn, sowie Rüstungschef Charles Grossenbacher die federführenden Persönlichkeiten. Über Ausmass und Art ihrer Arbeiten, die vermutlich rein theoretischer Natur waren, liegen keine Angaben vor, da die entsprechenden Akten im Schweizerischen Bundesarchiv weiterhin unter die Sperrfrist fallen. Fest steht jedoch, dass die Generalstabsabteilung die im MAP-Bericht geforderten Vorstudien auf jeden Fall einleiten wollte, um sich Gemäss Aussagen von Urs Hochstrasser und Walter Winkler in einem Gespräch mit dem Autor vom 8.9.1995. 127 BBl 1966, I, S. 871, Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Konzeption der militärischen Landesverteidigung. 128 Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik der Schweiz, 27.6.1973, in Stüssi-Lauterburg, Jürg/Bauer, Pierre, Texte zur schweizerischen Sicherheitspolitik 1960-1990, Brugg, 1991, S. 357-398. 129 Hufschmid, Peter, «Bombenstimmung», in Das Magazin, 28,1995, S. 27. 158 endlich ein Bild machen zu können, ob eine Eigenentwicklung von Nuklearwaffen überhaupt tragbar und machbar wäre. 130 Die Landesregierung unterstützte die Vorhaben nur noch bedingt und, im Gegensatz zu den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren, sehr zögerlich. Schuld an dieser Skepsis des Bundesrates gegenüber einer eigenen Nuklearbewaffnung war unter anderem der Mirageskandal, welcher 1964 in aller Schärfe an die Öffentlichkeit trat und die beschränkten finanziellen Mittel und Möglichkeiten des Kleinstaates Schweiz bewusst machte. B. Zweifel am eingeschlagenen Weg Im Schweizerischen Bundesarchiv liessen sich nur wenige Akten ausfindig machen, die auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Miragebeschaffung und einer Nuklearbewaffnung verweisen. Mit Sicherheit steht fest, dass der vehemente Atomwaffenbefürworter und Waffenchef der Fliegerund Fliegerabwehrtruppen, Oberstdivisionär Primault, bei einer «allfälligen Bestellung von Flugzeugen Typ 'Mirage' [sondieren wollte], ob Frankreich bereit wäre, uns Spaltmaterial zu Zwecken der Ausrüstung unserer Armee mit Atomwaffen zu liefern».131 Ähnliche Forderungen stellte bereits kurz zuvor der Unterstabschef Front, Oberstdivisionär Burckhardt, dem Generalstabschef: «Wir sollten deshalb bei der kommenden Flugzeugbeschaffung unbedingt nur solches Flugmaterial kaufen, das im Ernstfall auch in der Lage ist, ausländische Atommunition zu verwenden.»132 Frankreich drängte sich als mögliche Bezugsquelle auf, da dieses Land im Begriffe war, eine Nuklearmacht zu werden, einen gewissen Alleingang ein- 130 G e m ä s s Aussagen v o n Hans Senn in einem Gespräch mit d e m Autor v o m 9.8.1995. 131 BAR, 5560 (C) 1975/46, Bd. 80, Studie des Eidg. Politischen Departements (EPD) vom 25.5.1959. 132 BAR, 5560 (C) 1975/46, Bd. 272, Oberstdivisionär Burckhardt, Unterstabchef Front, an den Generalstabschef, 29.4.1959. 159 schlug und nicht in die NATO eingebunden war. Ob diese von hohen Offizieren gestellten Forderungen jemals konkret verfolgt wurden, bleibt ungewiss. Vieles spricht aber dagegen. Zum Vorschlag des Flugwaffenchefs Primault äusserte sich das Politische Departement jedenfalls sehr kritisch: «Es ist in Rechnung zu stellen, dass Frankreich auch heute noch keine sehr grosse Gewähr fur die diskrete Behandlung einer solchen Angelegenheit bietet. Das schweizerische Begehren könnte nicht durch die militärische Instanzen allein entschieden werden. Es handelt sich um eine politische Entscheidung, die von der Regierung selber getroffen werden muss.»133 Wenn auch verschiedene hohe Offiziere mit dem Gedanken gespielt haben, dass der Kauf der Mirage an eine Lieferung von spaltbarem Material oder sogar von Nuklearwaffen geknüpft werden könnte, so hat die Wahl dieses Hochleistungsjägers die Abklärungen für eine eigene Nuklearbewaffnung in keiner Weise beschleunigt, sondern massiv abgebremst. Im April 1961 suchte der Bundesrat für die Beschaffung von 100 Mirage III S und die dafür vorgesehene Ausrüstung und Munition um einen Kredit von 871 Millionen Franken nach.134 Drei Jahre später sah sich der Bundesrat gezwungen, einen Zusatzkredit von 576 Millionen Franken anzufordern. Die Affäre führte dazu, dass die Schweiz anstatt der geplanten 100 Flugzeuge lediglich 57 erwarb, womit an einen wirksamen Raumschutz zugunsten der mechanisierten Truppen kaum mehr zu denken war. Es wurde offenbar, dass die Schweiz in der Rüstung nicht in allen Bereichen mit der internationalen Entwicklung mithalten konnte. Diese Erfahrungen bewirkten in der Folge «einen völligen Umschwung». Der Bundesrat sah sich gezwungen, die Gesamtkonzeption der militärischen Landesverteidigung grundlegend zu überprüfen. Die wichtigsten Verfechter der «Mobile Defence» und Befürworter einer eigenen Nuklearbewaffnung mussten nun infolge des Mirage-Skandals ihre Posten räumen. Der im formellen Bereich hauptverantwortliche Generalstabschef Annasohn demissionierte im No- 133 BAR, 5560 (C) 1975/46, Bd. 80, Studie des EPD vom 25.5.1959. 134 Botschaft zur Miragebeschaffung vom 25.4.1961, in Stüssi-Lauterburg, Jürg/Bauer, Pierre, op. cit.,S. 112. 135 Ernst, Alfred, op. cit. 1971, S. 187 f. 160 vember 1964. Flugwaffenchef Etienne Primault wurde auf Jahresende entlassen. Die Sozialdemokraten forderten den Rücktritt von Bundesrat Chaudet, und bald wurden auch in seinen eigenen Reihen kritische Stimmen laut, so dass er im November 1966 verärgert zurücktrat. Die nach 1964 eher ablehnenden Reaktionen des Bundesrates zu den Vorschlägen der Generalstabsabteilung bezüglich eines Nuklearwaffenprogramms sind das Resultat eines Umdenkprozesses, der sich im Zuge der Mirage-Affäre abgezeichnet hatte. Der Bundesrat und viele Offiziere stellten fest, dass es dem Kleinstaat Schweiz nicht möglich sei, in allen Gebieten der Kriegstechnik Schritt zu halten. Um eine glaubwürdige Landesverteidigung praktizieren zu können, begann man sich auf eine starke konventionelle Armee zu konzentrieren. Mit der Phase des Zögerns und der Umorientierung, die beim Bundesrat nach 1964 einsetzte, gab sich der harte Kern der Atomwaffenbefürworter nicht einverstanden. Sie lösten in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre nochmals eine Atomwaffendebatte aus und forderten vom Bundesrat, dass er die in der Konzeption der militärischen Landesverteidigung von 1966 angekündigten Vorstudien für ein Nuklearwaffenprogramm endlich einleite. Noch deutlich weiter ging Gustav Däniker mit seinen Ansichten, welche er in seinem 1966 erschienenen Buch «Strategie des Kleinstaates» festhielt: Er sah für die Schweiz eine operative Nuklearbewaffnung vor, die zumindest in der Lage wäre, im zentraleuropäischen Raum taktische wie strategische Gegenschläge zu fuhren, um ein gewisses Mass an nuklearer Abschreckung zu erreichen.136 Diese letzte in der Öffentlichkeit geführte Atomdebatte hatte keinen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungen des Bundesrates mehr. Als 1966 die Genfer Abrüstungsverhandlungen konkretere Formen annahmen, ergriff das EPD die Initiative und liess die Atomsperrvertragsfrage in die innenpolitische Diskussion einfliessen. Es äusserte sich frühzeitig positiv zum anbahnenden Atomsperrvertrag und sah in diesem einen Beitrag zur internationalen Sicherheit sowie eine Alternative zur eigenen Nuklearbewaffnung.137 13 Däniker, Gustav, Strategie des Kleinstaates. Politisch-militärische Möglichkeiten schweizerischer Selbstbehauptung im Atomzeitalter, Frauenfeld, 1966. 137 Winkler, Theodor, op. cit., S. 169 ff., Sten. Bull. NR 1967, S. 596-598. 161 Die Armeeführung lehnte den Atomsperrvertrag aber kategorisch ab und bremste das Vorgehen des EPD. Für sie standen die Studien für eine mögliche Nuklearbewaffnung im Vordergrund. Eine 26-köpfige Arbeitsgruppe, die sogenannte «Studienkommission für strategische Fragen», stand unter der Leitung des Germanistikprofessors und Generalstabsoffiziers Karl Schmid. Sie wurde auf Antrag des Generalstabschefs im Mai 1967 gebildet. In ihrem Bericht hält die Studienkommission fest, dass eine strategische Nuklearbewaffnung für die Schweiz aus Kostengründen, aber auch wegen mangehider Glaubwürdigkeit nicht in Frage käme. Hingegen wurde eine operativ-taktische Nuklearbewaffnung begrüsst. Sie «würde die Verteidigungskraft und damit die kriegsverhütende Kraft unserer Landesverteidigung wesentlich verbessern»,13 sofern sie nicht auf Kosten der konventionellen Rüstung erfolgen würde. Den Beitritt zum Atomsperrvertrag und den damit verbundenen Verzicht auf eine nukleare Bewaffnung bezeichneten die Verfasser als «Beschränkung unserer Handlungsfreiheit».139 Somit war ihr Hauptanliegen die Abklärungen, welche der Bundesrat im Juni 1966 in Aussicht gestellt hatte. Doch selbst der Vorsteher des EMD, Bundesrat Nello Celio, unterstützte die Forderungen der Studienkommission kaum. Anlässlich der Bundesfeier vom 1. August 1968 in Zürich meinte er: «Es ist zu hoffen, dass unser hochzivilisiertes Land, trotz gewissen berechtigten Bedenken, seinen Mut unter Beweis stellen und auch formell seine Zustimmung geben wird.»140 Seine Zuversicht war wohl geprägt durch die rasch wachsende Zahl der Staaten, welche den Sperrvertrag unterzeichneten. Das EPD sah im Nonproliferationsvertrag einen wichtigen Beitrag zur internationalen Entspannung. Bundesrat Willy Spühler muss als die treibende Kraft innerhalb dieses Prozesses gesehen werden. Er verstand die Neutralität nicht als Abwendung vom Ausland, sondern als Verpflichtung zum Dialog 138 Bericht der Studienkomission für strategische Fragen (1973) S. 108. 139 A.a.O., S. 101. 140 «Bundesfeiertag in der Stadt», in NZZ, Nr. 479,2.8.1968, S. 11. 141 Dormann, Manfred/Vetterli, Rolf, «Zum Problem aussenpolitischer Kompetenz. Die Schweiz und der Atomsperrvertrag», in Schweizerisches Jahrbuch für politische Wissenschaft, 14, 1974, S. 97. 162 über die Landesgrenzen hinaus. Schliesslich fand das EPD verstärkt Unterstützung in der Wirtschaft und vor allem im Eidgenössischen Verkehrsund Energiewirtschaftsdepartement, welches ohne Unterzeichnung des Vertrags die Versorgung der Kernkraftwerke mit Spaltmaterial gefährdet sah. Ein Beitritt schien dadurch bald bevorzustehen. Doch es schaltete sich im September 1969 in der Presse ein «Aktionskomitee gegen den Beitritt zum Atomsperrvertrag» ein und versuchte, seine Anliegen noch in letzter Minute durchzusetzen. Das Aktionskomitee, dem Anwälte, Industrielle, Journalisten und vor allem Vertreter der Zürcher Offiziersgesellschaft angehörten, bezeichnete den Vertrag als diskriminierend, da er zwei Kategorien von Staaten schaffe. Die Vertragsdauer von fünfundzwanzig Jahren erachtete es als zu lange. Auch aus wirtschaftlichen Überlegungen sprach es sich gegen den Vertrag aus.143 Das Aktionskomitee sorgte in der Öffentlichkeit für grosses Aufsehen; nicht in erster Linie, weil sich diese Gruppe gegen den Atomsperrvertrag stellte, sondern vielmehr, weil ihr der Generalstabschef der Armee, Oberstkorpskommandant Gygli, angehörte, welcher sich mit seiner Parteinahme der offiziellen Politik entgegenstellte. Mit dieser späten Verzweiflungstat vermochte der Generalstabschef die Politik nicht mehr zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Am 27. November 1969 wurde der Atomsperrvertrag unterzeichnet. Der Schweiz blieb kaum ein anderer Weg. Weder die Armee noch die Wirtschaft vermochte Alternativen aufzuzeigen, die langfristig vielversprechend erschienen. Man hatte zugewartet, bis sich die Schweiz dem internationalen Druck in Richtung Nichtverbreitung von Nuklearwaffen nicht mehr entziehen konnte. 142 Altermatt, Urs, (Hrsg.), Die Schweizer Bundesräte. Ein biographisches Lexikon, Zürich, 1991, S. 492. 143 Winkler, Theodor, op. cit.. S. 195. 163 VI. Schlusswort Es hat sich gezeigt, dass die Schweizer Armee die Option einer Nuklearbewaffnung latent über Jahrzehnte mit unterschiedlicher Intensität verfolgte. Die parallel zur zivilen Kerntechnologie eingeleiteten Abklärungen und Untersuchungen, welche unter militärischem Deckmantel verliefen, blieben der Öffentlichkeit stets verborgen. Der Bundesrat hingegen war in jeder Phase über das Vorgehen der militärischen Anstrengungen im Bilde und hat entsprechende Anträge des EMD gutgeheissen, zu späteren Zeitpunkten abgeschwächt und sogar abgelehnt. Die Anfangsphase von 1945-1954 war geprägt von einer geheimen militär-wissenschaftlichen Allianz, die sich vorwiegend mit der Beschaffung von Uran auseinandersetzte, als Ziel aber bereits die Herstellung einer schweizerischen Uranbombe aus einheimischen Rohstoffquellen formulierte. In den Jahren 1954-1958 konzentrierte sich die Diskussion vor allem auf Offizierskreise und Militärexperten. An die Öffentlichkeit drang die Atomwaffenfrage erst mit der prinzipiellen Erklärung des Bundesrates von 1958. Die intensive verwaltungs- und politikinterne Auseinandersetzung beschränkte sich vorwiegend auf die Jahre 1957-1964. Damals forderten vor allem die LVK und die Generalstabsabteilung eine Nuklearbewaffnung für die Schweizer Armee. Anschliessend, nach der Mirage-Affäre und nach Kenntnisnahme des MAP-Berichtes, verfolgte der Bundesrat eine gewisse Verzögerungstaktik und kam in eine Phase der Neuorientierung. In dieser Zeit - vor allem 1966 bis 1969 - versuchte ein harter Kreis von Atomwaffenbefürwortern, die Diskussion nochmals in die Öffentlichkeit zu tragen und zur ihren Gunsten zu beeinflussen, jedoch ohne Erfolg. Mit der Unterzeichnung des Atomsperrvertrags hatte sich der Bundesrat 1969 schliesslich gegen die vom EMD geforderte strategische Handlungsfreiheit entschieden. Mitentscheidend dafür, dass es in der Schweiz nie zur Umsetzung der Atomwaffenpläne kam, sind auch strukturelle Faktoren. Im Gegensatz zu Frankreich oder Grossbritannien wurde die Atomtechnologieentwicklung in der Schweiz, trotz hoher Investitionen von Seiten des Staates, von der Privatwirtschaft bestimmt. Was für Atomwaffenmächte charakteristisch ist, trifft für die Schweiz nicht zu: Es kam unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zur Bildung eines staatlichen Atomforschungszentrums, das militärische und zivile Interessen hätte vereinen können. Damit fehlte der entscheidende frühe militär-industrielle Entwicklungsschub für den Natururanreaktor, welcher 164 auch der Plutoniumproduktion gedient hätte. Das ökonomische Potential der Schweiz im Bereich der Nukleartechnologie hinkte den europäischen Atommächten hinterher. Wohl auch deswegen tauchten die ersten technischen Abklärungen bezüglich einer eigenen Nuklearbewaffnung erst in den frühen sechziger Jahren auf, als sich bereits eine Neuorientierung abzeichnete. Folglich versandeten die eigentlichen Atomwaffenpläne bald: Auf die blinde Technikgläubigkeit folgte eine nüchterne Betrachtungsweise. Die Mirage-Affäre wie auch der MAP-Bericht zeigten die finanziellen, personellen und technischen Grenzen des Kleinstaates Schweiz auf. Der Bau einer Wiederaufbereitungsanlage kam aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Qualifiziertes Personal hätte kaum aus der Wirtschaft abgezogen werden können. In der Uranprospektion konnte nie ein echter Durchbruch erzielt werden. Der Rohstoff Uran blieb Mangelware, und die eigene Reaktorlinie von Lucens war frühzeitig zum Scheitern verurteilt. Ferner setzte sich die Erkenntnis durch, dass die dissuasive Wirkung der Schweizer Armee mit einer starken konventionellen Rüstung grosser sein würde als mit einem teuren Mini-Atomarsenal und einem schwachen konventionellen Bereich. Und nicht zuletzt leistete der Widerstand aus Teilen der Bevölkerung einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Atomwaffenpläne der Generalstabsabteilung nicht eingeleitet wurden. Unter diesen Umständen und Vorzeichen bot sich der Atomsperrvertrag als sinnvolle Alternative an. Résumé Le Département militaire fédéral a commencé à soutenir la technologie atomique dans une perspective militaire vers la fin de la Deuxième Guerre mondiale. La phase initiale (1945-1954) a été dominée par une alliance secrète entre militaires et scientifiques, dont la préoccupation principale était de se procurer de l'uranium, mais qui se fixait déjà pour objectif la fabrication d'une bombe à l'uranium utilisant les matières premières du pays. La personnalité marquante de cette époque est indubitablement le professeur Paul Scherrer, qui se profila en tant que décideur pour ce qui touche aux questions militaires, scientifiques et de politique extérieure en matière d'armement nucléaire. 165 De 1954 à 1958, le débat fut surtout limité aux officiers et aux experts militaires. De nombreux officiers suisses jugeaient que l'arme nucléaire tactique convenait aussi à un petit pays. L'insécurité politique mondiale de l'époque (crise de Suez, crise hongroise et choc du Spoutnik) créait un climat idéal pour ses partisans. La question de l'arme atomique ne parvint aux oreilles de l'opinion publique qu'avec la déclaration de principe du Conseil fédéral de 1958, dans laquelle ce dernier adhérait sans équivoque à l'opinion selon laquelle l'armée suisse devait être dotée de l'arme nucléaire. Mais c'est surtout entre 1957 et 1964 que le débat interne s'intensifia. A l'époque, la commission de défense nationale et le service de l'état-major général furent les plus actifs à réclamer un armement nucléaire pour l'armée suisse. Par arrêté interne secret, le Conseil fédéral avait chargé le DMF d'étudier s'il convenait d'acquérir la bombe atomique à l'étranger ou de la produire sur place. En 1963, le chef d'état-major général soumettait à la commission de défense nationale le fameux rapport MAP (Möglichkeiten einer eigenen Atomwaffenproduktion, Possibilités de production d'un armement nucléaire suisse), dont les auteurs affirmaient que le pays pouvait atteindre en treize ans un premier niveau d'armement. Ils jugeaient qu'il était possible de procéder à des essais souterrains dans les Alpes. A partir de 1963, le Conseil fédéral commença à prendre de plus en plus ses distances par rapport à ces projets. L'affaire des Mirages, surtout, avait clairement montré qu'un petit pays comme la Suisse ne pouvait suivre l'évolution internationale dans tous les domaines de l'armement. Des facteurs structurels contribuèrent aussi à ce que les projets d'arme nucléaire ne soient jamais réalisés en Suisse. Contrairement aux cas de la France ou de la Grande-Bretagne, c'est le secteur privé qui, malgré de lourds investissements des pouvoirs publics, a déterminé le développement des technologies nucléaires en Suisse. Il n'en allait pas de la Suisse comme des grandes puissances nucléaires: elle n'avait pas créé, immédiatement après la Deuxième Guerre mondiale, de centre de recherches nucléaires d'Etat susceptible d'unir les intérêts militaires et civils. Il lui manquait donc cette impulsion initiale au développement de l'industrie militaire qui aurait été décisive pour la création d'un réacteur à uranium naturel pouvant servir aussi à la production de plutonium. Le potentiel économique de la Suisse présentait un retard considérable sur les puissances atomiques européennes dans le domaine des technologies nucléaires. Et c'est pour cela que les premières études techniques sur la production d'un armement nucléaire suisse n'eurent lieu qu'au début des années soixante - alors que se dessinait déjà un recentrage. A la croyance aveugle dans la technique succéda 166 une approche plus raisonnable. L'affaire des Mirages et le rapport MAP avaient mis en lumière les limites financières, humaines et techniques du petit pays qu'est la Suisse. Il n'était pas question, pour des raisons financières, de construire une installation de recyclage. De plus, on aurait eu du mal à recruter du personnel qualifié dans les entreprises privées. On n'avait jamais véritablement réalisé de percée dans la prospection de l'uranium ; ce dernier demeurait denrée rare et le réacteur de Lucens était condamné à l'échec à brève échéance. De plus, on commençait à prendre conscience que l'armée suisse avait un meilleur effet dissuasif si elle possédait un solide armement conventionnel qu'avec un mini-arsenal atomique onéreux et un arsenal conventionnel réduit. Enfin, la résistance de certaines parties de la population contribua pour une très grande part à ce que les projets d'armement atomique de la division de l'état-major ne soient jamais réalisés. Compendio II Dipartimento militare federale cominciò a sostenere la tecnologia atomica verso la fine della seconda guerra mondiale in una prospettiva militare. La fase iniziale (1945 - 1954) fu caratterizzata da un'alleanza segreta tra militari e scienziati volta soprattutto a procurarsi uranio, ma il cui scopo dichiarato era già la fabbricazione di una bomba all'uranio svizzera con materie prime indigene. La personalità-faro di quest'epoca fu senz'altro il prof. Paul Scherrer, determinante nelle decisioni concernenti le armi atomiche sia in questioni militari che scientifiche che inerenti alla politica estera. Tra il 1954 e il 1958, il dibattito interessò soprattutto ufficiali ed esperti militari. Molti ufficiali svizzeri erano convinti che le armi nucleari tattiche fossero adatte anche ad un piccolo Stato. L'incertezza della situazione politica mondiale - crisi di Suez, crisi ungherese, choc causato dal lancio dello sputnik - era l'ideale per i fautori dell'armamento atomico. La questione delle armi nucleari divenne di pubblico dominio solamente con la dichiarazione di principio del Consiglio federale del 1958, nella quale la fornitura di armamenti atomici all'esercito svizzero veniva appoggiata in tutta chiarezza. 167 L'intensa discussione interna fu limitata principalmente agli anni tra il 1957 e il 1964. Allora furono soprattutto la Commissione per la difesa nazionale e la divisione dello Stato maggiore a chiedere che l'esercito svizzero disponesse di armi nucleari. Un decreto federale interno segreto incaricò il DMF di verificare se si dovesse far ricorso ad armi nucleari estere o dare il via ad una produzione propria. Nel 1963, il capo di Stato maggiore della Commissione per la difesa nazionale presentò il cosiddetto rapporto MAP (Möglichkeiten einer eigenen Atomwaffenproduktion, possibilità di una produzione propria di armi atomiche), nel quale si sosteneva che la Svizzera avrebbe potuto raggiungere un primo stadio di armamento nucleare nel giro di 13 anni. Si ritenevano possibili esperimenti nucleari sotterranei nel territorio alpino. Dal 1963 in poi, il Consiglio federale cominciò tuttavia a prendere le distanze dai piani di armamento atomico: fu innanzi tutto l'affare Mirage a convincerlo più di ogni altra cosa che un piccolo Stato come la Svizzera non potesse tenere il passo dell'evoluzione internazionale in tutti i campi dell'armamento. Se la Svizzera non realizzò mai i suoi piani atomici, fu però anche a causa di fattori strutturali. Al contrario di quanto avveniva in Francia o in Gran Bretagna, in Svizzera lo sviluppo della tecnologia atomica, nonostante ingenti investimenti da parte dello Stato, dipendeva dall'economia privata. In Svizzera non si verificò un fatto tipico per le potenze atomiche: non si giunse, immediatamente dopo la seconda guerra mondiale, alla creazione di un centro di ricerche atomiche statale in grado di soddisfare sia interessi civili che militari. Venne così a mancare l'impulso iniziale militare ed industriale, decisivo per lo sviluppo del reattore all'uranio naturale, che sarebbe potuto servire anche per la produzione di plutonio. Il potenziale economico svizzero in fatto di tecnica nucleare arrancava alle spalle delle potenze atomiche europee. Probabilmente anche per questo le prime ricerche sulla possibilità di un armamento nucleare indigeno apparvero solo all'inizio degli anni sessanta, quando si stava già delineando un nuovo orientamento. La cieca fede nella tecnica fu rilevata da una maniera più razionale di vedere le cose. L'affare Mirage e il rapporto MAP avevano messo a nudo i limiti finanziari, umani e tecnici del nostro piccolo Stato. La costruzione di un impianto di rigenerazione non poteva essere presa in considerazione per motivi finanziari. Sottrarre personale qualificato all'economia privata sarebbe stato praticamente impossibile. Non si erano mai fatti progressi decisivi nel campo della prospczione dell'uranio. Questa materia prima continuava a scarseggiare e il progetto di reattore indigeno di Lucens fu presto condannato al fallimento. Inoltre si era capito che l'esercito svizzero avrebbe avuto più potere dissuasivo con un armamento convenzionale forte che con un mini-arsenale ato- 168 mico ed un settore convenzionale debole. Non ultima, l'opposizione da parte della popolazione contribuì non poco alla decisione di non mettere in atto i piani di armamento atomico della Divisione di Stato maggiore. 169 Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali Die Option einer Nuklearbewaffnung für die Schweizer Armee 1945-1969 In Studien und Quellen Dans Etudes et Sources In Studi e Fonti Jahr 1997 Année Anno Band 23 Volume Volume Autor Metzler, Dominique Benjamin Auteur Autore Seite 121-170 Page Pagina Ref. No 80 000 209 Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert. Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses. Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.