Sprachen Achim Binder Die Semantisierung des Andalusischen in den „dramas rurales“ von García Lorca Magisterarbeit Eberhard-Karls-Universität Tübingen Neuphilologische Fakultät – Romanisches Seminar – Magisterarbeit Die Semantisierung des Andalusischen in den „dramas rurales“ von García Lorca vorgelegt von: Achim Binder März 2008 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung: ..................................................................................................................... 3 Die Semantisierung des Andalusischen ............................................................................ 3 1.1 „Dramas rurales“ contra „teatro rural“: Gegensätzliche Inszenierung des ländlichen Andalusiens ....................................................................................................................... 8 1.2 „Lo andaluz“: Quintessenz des Spanischen im 19. Jahrhundert ............................... 11 1.3 „Las dos Andalucías“: Die kulturelle Identität des Andalusischen........................... 14 2. Semantik der Archaisierung: ....................................................................................... 19 Archaische Elemente in Bodas de sangre und Yerma..................................................... 19 2.1 „Hay que volver a la tragedia“: Griechisch-andalusische Tragödie.......................... 21 2.2 „Lo arcaico y lo andaluz“: Inszenierung eines archaischen Andalusiens ................. 28 2.3 „Vientre seco, agua santa“: Archaischer Fruchtbarkeitskult..................................... 36 3. Sprachsemantik: .......................................................................................................... 42 Das Andalusische als sprachlicher und soziokultureller Bezugspunkt ........................... 42 3.1 „¡Ay pastora, que la luna asoma!”: Die Funktion des „Lyrismus” ........................... 45 3.2 „Los hombres, hombres, el trigo, trigo“: Inszenierte ländliche Sprache................... 53 3.3 „El qué dirán“: Öffentliche Meinung und Ehrenkodex............................................. 59 4. Raumsemantik:............................................................................................................ 68 Räumliche Semantisierung des Andalusischen............................................................... 68 4.1 „¡Yo quiero salir!“: Semantisierung des „geschlossenen“ Raumes .......................... 72 4.2. „Abrir puertas y ventanas“: Inszenierung des „offenen” Raumes ........................... 83 4.3. „Un documental fotográfico“: Realismus und Stilisierung...................................... 89 5. Conclusio:.................................................................................................................... 94 Semantische Einheitlichkeit der „dramas rurales“ .......................................................... 94 Bibliographie ................................................................................................................... 97 2 1. Einleitung: Die Semantisierung des Andalusischen Mit dem Todesjahr García Lorcas sowie dem Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs endete 1936 die fast vier Jahrzehnte währende zweite „Edad de Oro“ der spanischen Kulturgeschichte.1 Ausgangpunkt dieser kulturellen Blütezeit war das Krisenjahr 1898, in dem Spanien Kuba, Puerto Rico und die Philippinen an die USA verlor und sich somit endgültig vom Kolonialismus verabschieden musste. „Paradójicamente, un extraordinario florecimiento de la cultura española se inició […], como si el “Desastre” de 1898 hubiera dado a muchos españoles la energía y la ambición necesarias para intentar devolver a su patria un lugar en la historia de la cultura universal.”2 Die dadurch ausgelöste Krise führte in Spanien jedoch nicht zu einer zunehmenden kulturellen „alienación“, sondern bewirkte stattdessen eine noch stärkere Hinwendung zur eigenen Sprache, Kultur und Nation. Der Rückgriff auf die mittelalterliche Dichtkunst des „Romance” zeigt dieses neu erwachte Interesse an der genuin-spanischen Kulturtradition: „Los poetas españoles no estaban tan sustancialmente alienados como otros europeos, porque se sentían hondamente arraigados en un dominio expresivo muy antiguo de su comunidad nacional, el Romancero y toda poesía de tipo tradicional.”3 Bezeichnenderweise stellte sich Lorcas kommerzieller Erfolg als Dichter erst dann ein, als es ihm gelang, diese klassische Form des „Romance“ mit der traditionsreichen „gitano“-Kultur zu verbinden. Jene Mischung aus „lo gitano“ und „lo andaluz“, welche den Romancero Gitano (1928) prägt, kommt auch in Lorcas „dramas rurales“ zum Ausdruck, insbesondere in Bodas de sangre (1933).4 Der Erfolg, den García Lorca mit Bodas de sangre bis weit über die Landesgrenzen hinaus feiern konnte, ist – auch in diesem Fall – zu einem nicht un1 Marichal, Juan: „Una espléndida década (1926-36)”. In: Cuadernos Hispanoamericanos. La Generación del 27. Madrid: Instituto de Cooperación Iberoamericana, abril-mayo 1993, 25. Die Bezeichnung erfolgt in Anlehnung an das erste „Siglo de Oro“, den Übergang von der Renaissance zum Barock im 16. und 17. Jahrhundert, als es in der spanischen Literatur zu einer nachhaltigen Erneuerungsbewegung kam; Gattungen wie das Drama, der Roman und die Poesie erlebten eine nicht gekannte Blüte. 2 Marichal, „Una espléndida década”, Cuadernos Hispanoamericanos, 25. 3 Ibid, 34. 4 Dazu Carlos Rincón: „Doch erst Bodas de Sangre vollzieht die eigentliche Umsetzung der Romanze ins Dramatische. [...] Noch weitreichender aber als dieser Bezug erscheint uns die These Rafael Albertis, Bodas de Sangre und Yerma seien ‚Zigeunerromanzen in Aktion’“. Das Theater García Lorcas. Berlin: Rütten & Loening, 1975, 225. 3 wesentlichen Teil der publikumswirksamen Darstellung des Andalusischen zuzuschreiben, welche vor allem im Ausland dazu führte, dass „lo gitano-andaluz“ als Inbegriff des Spanischen gedeutet wurde und jene Elemente, die allein der andalusischen Tradition entsprechen, auf das gesamte Spanien übertragen wurden: En los espectáculos peninsulares, para el consumo de España entera, lo andaluz o lo gitano-andaluz representa la constante cultural, lo más sólido, lo familiar, el recurso inmediato para todo tipo de afirmación identitaria, aunque sean de signos contrarios. Lo andaluz llega incluso, en ciertos períodos, a convertirse en imagen metonímica del país, a uso nacional o como estampa arquetípica destinada a representar a España en el extranjero.5 Ob García Lorca ahnte, dass der offensichtliche Bezug zur andalusischen Kultur, wie sie im Romancero Gitano zum Ausdruck kommt, auch den Durchbruch als Dramatiker erleichtern würde, oder ob er einfach seinem Gespür für Theater folgte, kann nur spekuliert werden. Seine Entscheidung, nach dem Erfolg von Bodas de sangre auch in Yerma (1934) und in La casa de Bernarda Alba (1936) das ländliche Andalusien als den Schauplatz der Handlung zu wählen, lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass Lorca das andalusische Milieu für seine dramatischen Stoffe in besonderer Weise schätzte. Selbstverständlich spielt dabei auch die schlichte Tatsache eine Rolle, dass er selbst Andalusier war und somit die Sitten und Bräuche seiner Landsleute bestens kannte.6 Interpretation und Wirkung der „dramas rurales“ sind somit eng mit dem andalusischen Kontext verwoben; ihr Verständnis konstituiert sich weitgehend aus der speziellen Bedeutung jenes „andalucismo“, der von Allen Josephs und Juan Caballero umfassend als „fenómeno andaluz“ bezeichnet wird: El fenómeno andaluz no es otra cosa que esa realidad andaluza. Lorca llegó a ella por alguna vía de la intuición y la expresó mediante su arte. Esta expresión suya en cuanto a intuición tiene que entenderse como cierta ‘mística’ que forma parte de la realidad andaluza y a la cual el genio lorquiano fue peculiarmente sensible. [...] 5 Salaün, Serge: „España empieza en Despeñaperros: Lo andaluz en la escena nacional.” In: Pensamiento y Literatura en España en el siglo XIX: Idealismo, Positivismo, Espiritualismo. Université de Toulouse-Le Mirail: Presses Universitaires du Mirail, 1998, 211. 6 Aus Sicht von Jorge Luis Borges stellte Lorca seine andalusische Herkunft fast überdeutlich zur Schau: „Er wirkte auf mich wie ein Mann der schauspielert, wissen Sie? Der eine Rolle spielt. Ich meine, er war ein professioneller Andalusier.“ Gibson, Ian: Federico García Lorca. Biographie. Leipzig: Suhrkamp, 1989, 497. 4 El fenómeno andaluz no es un ‘tema’ y no es ‘literario’. No es tampoco ‘popular’ o ‘folklórico’, aunque Lorca empleaba como recursos a veces lo folklórico y lo popular.7 Gegen eine Instrumentalisierung dieses „fenómeno andaluz“ im Sinne der Folklore, der „Blut- und Bodendichter“ oder „Heimatschriftsteller“ wendet sich auch Hans-Jörg Neuschäfer, der kritisiert, dass die „dramas rurales“ „in Deutschland so oft als Ausdruck des Ewig Spanischen, noch einseitiger: der spanischen Leidenschaftlichkeit, missverstanden worden sind.“9 Grundlage für dieses Missverständnis, welches innerhalb und außerhalb Spaniens für eine Fehleinschätzung García Lorcas sorgt, ist die Verwechslung der bloßen Dramatisierung des Andalusischen mit dessen scheinbarer Romantisierung und Nationalisierung. Auch wenn Lorca eine sehr enge Beziehung zu seiner andalusischen Heimat pflegte und diese als seine größte Inspirationsquelle sowohl für sein dichterisches als auch dramatisches Werk verwendete, stand er ihr gleichzeitig – zumindest in seinen „dramas rurales“ – äußerst kritisch gegenüber und zeigt in Yerma und La Casa de Bernarda Alba ein Andalusien, das von einer romantischen Idylle weit entfernt ist: In La Casa de Bernarda Alba gestaltet García Lorca keine andalusische Dorfidylle, sondern inszeniert im Haus Bernardas brennspiegelartig eine Gemeinschaft, in der Egoismus, Habgier, Geiz, Machtsreben und Misstrauen den Umgang untereinander bestimmen, in der Verlogenheit über Ehrlichkeit dominiert, in der Außenwirkung und Fassade mehr gelten als innere Werte, und in der letztlich der ökonomische Faktor, das Geld, den Ausschlag gibt („¡El dinero lo puede todo!“).“10 Trotz dieser äußerst negativen Darstellung Andalusiens, die mit der Furcht der Dorfbewohner vor der „opinión“ beginnt und im grotesken Gebaren Bernarda Albas 7 Federico García Lorca: La casa de Bernarda Alba. Hg. von Allen Josephs und Juan Caballero. Madrid: Cátedra, 17. Aufl., 1990, „Dos tragedias andaluzas”, 52. 9 Neuschäfer, Hans-Jörg: Spanische Literaturgeschichte. 2. erweiterte Auflage. Stuttgart: Metzler, 2001, 345. „Nicht nur García Lorcas Homosexualität, sondern auch der oft missbrauchte „andalucismo“, der den Dramatiker in die Ecke der ‚Blut und Bodendichter à la Knut Hamsun oder bisweilen gar in diejenige des Heimatschriftstellers drängte sowie das sein literarisches Schaffen erheblich beeinflussende soziale Umfeld – das Vorbürgerkriegs-Spanien der Zwanziger- und Dreißigerjahre í stellen eine wichtige Komponente für den Zugang zur dramatischen Welt García Lorcas dar.“ Aus: Freymüller, Renate: Das Bild der Frau in Federico García Lorcas dramatischen Werken als Weiterentwicklung einer Konstante der spanischen Literatur. Stuttgart: Verlag für Wissenschaft und Forschung, 1994, 90. 10 Floeck, Wilfried: „Federico García Lorca: La Casa de Bernarda Alba.” In: Roloff, Volker (Hrsg.): Das Spanische Theater: Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Düsseldorf: Schwann Bagel, 1988, 374. 5 als „Kerkermeisterin“ auf die Spitze getrieben wird, bekräftigt García Lorca mehrfach den realistischen Anspruch des Dramas. Sein expliziter Hinweis, die Tragödie im Stil eines „documental fotográfico“ zu inszenieren, sowie der in zwei LorcaBiographien überlieferte Kommentar, wonach er den „reinen Realismus“ seines Dramas hervorhebt, lassen sich mit diesem teilweise höchst surreal wirkenden andalusischen Dorfleben scheinbar nur sehr schwer in Einklang bringen.11 Für Ruiz Ramón handelt es sich bei García Lorcas Inszenierung des Andalusischen deshalb nicht um Realität, sondern um „ein Zeichen“, „und als solches steht es für ein System und einen Normenkodex und nicht für eine Region oder ethische Einheit.“12 Demgegenüber präsentieren die Soziologen Pitt-Rivers und Gilmore in ihren Arbeiten ein Andalusien, das genau jene gesellschaftlichen Strukturen und Themen beinhaltet, welche in den „dramas rurales“ beschrieben werden, so dass sich Lorcas drastische Darstellungsweise zu bestätigen scheint, insbesondere auch in Bezug auf die archaischen Wurzeln des Andalusischen.13 El estudio interesa por varias razones. Constituye una documentación y explicación sociológica parcial del fenómeno andaluz, del cual muchos elementos aparecen en estas tres obras. Es decir, que pertenecen a la realidad y no a una visión folklórica de las costumbres andaluzas, estilo Fernán Caballero. Es también interesante porque esboza una estrecha relación entre el pueblo andaluz y aquella civilización primaria que por razones religiosas creó lo que llamamos tragedia.14 Josephs und Caballero sprechen sich somit eindeutig gegen die Vorstellung aus, das Andalusische sei lediglich als zeichenhafter „Normenkodex” zu verstehen – die Parallelen zwischen der andalusischen Realität und Lorcas „dramas rurales” sind für sie zu offensichtlich: „Por oscuros que puedan ser los mitos que van encarnando la tierra y la sociedad andaluzas, siempre sentimos que todo ese material forma parte de un conocimiento de realidad.”15 11 Das Originalzitat „¡Ni una gota de poesía! ¡Realidad! ¡Realismo!“ erschien in der ersten LorcaBiographie von Ángel del Río und stützt sich auf einen Artikel in Carteles, La Habana, vom 10. April 1938 von Adolfo Salazar. Auch Gibson greift diese Anekdote auf: „Jedesmal, wenn er eine Szene fertig hatte, kam er angerannt, glühend vor Begeisterung: Kein bisschen Dichtung! Realität!“ Gibson, Federico García Lorca. Biographie, 578. 12 Ruiz Ramón, Francisco: „Die Entwicklung des dramatischen Textes der Gegenwart: fünf spanische Paradigmen“. In: Floeck, W. (Ed.): Spanisches Theater im 20. Jahrhundert (Gestalten und Tendenzen). Tübingen: Francke, 1990, 29. 13 Pitt-Rivers, J.A.: The People of the Sierra. Chicago & London: Phoenix Books, UCP, 1961. Gilmore, David D.: Aggression and Community: paradoxes of Andalusian culture. New Haven: Yale University Press, 1987. 14 Josephs; Caballero, „Dos tragedias andaluzas”, 59-60. 15 Ibid, 51. 6 Mehr Einigkeit herrscht jedoch in Bezug auf die grundlegende Bedeutung des andalusischen Kontexts, ungeachtet der Frage, ob er nun bloßes „Zeichen“ oder faktische Realität darstellt, da dieser in den „dramas rurales“ auf unmittelbare Weise mit Dramaturgie und Handlung verknüpft wird. Obwohl weder die genaue Verortung des Dramenschauplatzes noch seine regionalen Einflüsse17 jemals expliziert werden, gelingt es Lorca, eine regelrechte „Inszenierung“ des Andalusischen und des „fenómeno andaluz“ auf die Bühne zu stellen: „Esto es tan aplicable al teatro como a la poesía, especialmente en Bodas de sangre, Yerma y La Casa de Bernarda Alba, donde ocurre una escenificación de la realidad andaluza, no realismo, sino ‚nuevas e ignoradas perspectivas de esa realidad’, lo que equivale a decir escenificación del fenómeno andaluz.”18 Das Andalusische trägt somit nicht nur zur semantischen und soziokulturellen Einheitlichkeit bei, sondern es transportiert gleichzeitig die zentralen Themen der „dramas rurales“. Auf diese Weise fungiert Andalusien sowohl als Schaubühne für das dramatische Geschehen, als auch gewissermaßen als „stumme Figur“, welche die Handlung im Sinne des „fenómeno andaluz“ entscheidend prägt und strukturiert.20 Analog zu Jurij M. Lotmans Theorie der „Semantisierung des Raumes“ kann daher in Bezug auf die „dramas rurales“ von einer „Semantisierung des Andalusischen“ gesprochen werden, womit im Folgenden die Dramatisierung und Inszenierung des Andalusischen bezeichnet wird.21 Eine Analyse von Bodas de sangre, Yerma und La casa de Bernarda Alba soll zeigen, auf welche Art und Weise diese Semantisierung des Andalusischen mit der dramatischen Struktur der „dramas rurales“ zusammenhängt. 17 Lorca unterscheidet sich darin vom Theater seiner Zeit. Bei den irischen Dramatikern, beispielsweise bei Synge, Friel, Heaney und O’Brien ist die Nennung realer Ortsnamen sowie die explizite Erwähnung des Schauplatzes, in ihrem Fall das ländliche Irland, nichts Ungewöhnliches. 18 Josephs; Caballero, „Dos tragedias andaluzas”, 51-52. Andrés Soria Ortega versucht in „Notas sobre el andalucismo de Lorca“ eine „neutrale” Definition des „andalucismo“ zu geben: „El proceso histórico ideológico que transcurre de 1869 a 1936 con una dinámica de transformación del pueblo andaluz.” In: Valoración actual de la obra de García Lorca. Actas del coloquio celebrado en la Casa de Velázquez. Madrid: Universidad Complutense, 1988, 183. 20 Der Begriff der stummen Figur („personaje mudo“) stammt von Francisco García Lorca, der ihn auf die Rolle von „la casa“ in La casa de Bernarda Alba bezieht. García Lorca, Francisco: Federico y su mundo. Madrid: Alianza Editorial, 1981, 382. 21 Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. 4. unveränderte Auflage. München: Fink, 1993, 311ff. 7 1.1 „Dramas rurales“ contra „teatro rural“: Gegensätzliche Inszenierung des ländlichen Andalusiens Trotz ihrer „poderosa unidad“, welche die Dramen Bodas de sangre, Yerma und La casa de Bernarda Alba ohne Zweifel verbindet, hatte Lora ursprünglich einen anderen Abschluss für seine „trilogía dramática de la tierra española“ vorgesehen.22 Der eigentliche Abschluss dieser Trilogie sollte – laut einem Interview von 1933 mit Lorca in El Heraldo de Madrid – durch ein Werk mit dem Titel La destrucción de Sodoma / Las hijas de Loth gebildet werden, von dem Lorca jedoch nicht mehr als den dritten Akt schreiben konnte und das als „trilogía bíblica“ geplant war.23 Auch von Lorcas Freundeskreis, dem er in seinem Todesjahr 1936 die fertige Fassung von La casa de Bernarda Alba vortrug, sind keinerlei Aussagen überliefert, wonach damit die Vollendung seiner Trilogie einherginge; aus diesem Grund ist fraglich, ob La casa de Bernarda Alba von Lorca überhaupt jemals als Teil der „trilogía dramática de la tierra española“ beabsichtigt worden war. Die Unterschiedlichkeit der drei Dramen kommt nicht zuletzt in ihrem jeweiligen Untertitel zum Ausdruck. Bei Bodas de sangre lautet dieser schlicht „tragedia“, bei Yerma handelt es sich um ein „poema trágico“ und bei La casa de Bernarda Alba wählt Lorca den ausführlichen Titel „Drama de mujeres en los pueblos de España“.24 Trotz dieser gattungsspezifischen Unterschiede besitzen die „dramas rurales“ große stilistische und inhaltliche Gemeinsamkeiten, von denen die auffälligste ihr Schauplatz ist, der sich eindeutig am ländlichen Andalusien inspiriert. „Lo que tienen en común las tres es el campo andaluz y sus campesinos como personajes; y es esto, el fenómeno andaluz que tienen en común, lo que ha despistado o confundido a ciertos críticos.”25 Dieser Umstand hat dazu geführt, die drei Dramen unter dem Oberbegriff „dramas rurales“, „teatro rural“ oder „tragedias rurales“ zusammenzufassen. 22 Doménech, Ricardo: „Símbolo, mito y rito en La casa de Bernarda Alba”. In: Doménech, Ricardo (ed.): La casa de Bernarda Alba y el teatro de García Lorca. Madrid: Cátedra, 1985, 189. 23 Gibson, Federico García Lorca. Biographie, 477. 24 Die hier zitierten Ausgaben sind: García Lorca, Federico: Bodas de Sangre. Hg. von Allen Josephs und Juan Caballero. 16. Auflage. Madrid: Cátedra, 2002. Yerma. Hg. von Ildefonso-Manuel Gil. 25. Auflage. Madrid: Cátedra: 2003. La Casa de Bernarda Alba. Hg. von Joaquín Forradellas. 31. Auflage. Madrid: Colección Austral, 2001. 25 Josephs; Caballero, „Dos tragedias andaluzas”, 61. 8