Die prätorischen Edikte de negotiis gestis und de damno infecto

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Die prätorischen Edikte
de negotiis gestis und de damno infecto.
Eine Vergleichung der
Entstehungsumstände1
Michaela
(Université de
)
1. Die Stellung der prätorischen „Gesetzgebung“
In seiner Aufzählung der Recht hervorbringenden Subjekte
erwähnt Gaius (Inst.1.2-6) das Volk, die Plebejer, mit gewissem
Bedenken den Senat und zweifellos den Kaiser. Er erwähnt in
diesem Zusammenhang auch die Responsen der Juristen, denen das
Recht gegeben worden ist, Rechtsregeln zu schaffen. Das Bild, das
Gaius hier über die Rechtsquellen des römischen Volkes darbietet,
ähnelt einem Flußstrom. Es ist ein Strom, der sich in einem
breiteren Kulturrahmen entwickelt, jedoch immer im eigenen
Flußbett bleibt. Die Worte des Gaius geben mir immer das Gefühl,
daß er die Kontinuität der Entwicklung besonders geschätzt habe.
Sie sind ein Nachweis für den römischen Traditionalismus und für
die römische rechtsphilosophische Auffassung über die
Gesetzgebung. Das Recht der Römer besteht auch in der
kaiserlichen Epoche aus dem, was das Volk festlegt, was die
Plebejer festlegen und was diejenigen, die das ius edicendi und das
ius respondendi haben, festlegen. Gaius informiert uns darüber, daß
in der „gesetzgebenden“ Tätigkeiten zwischen der Bildung von
Gesetzen, leges, und der Bildung von Rechtsregeln (ius)
unterschieden wurde. Dabei erwähnt der Jurist jedoch die
Rechtskraft der einzelnen Rechtsquellen nicht. Erst aus dem
1
Ausgearbeiteter Text eines Vortrags, den ich im September 2002 während der 56.
Sitzung der SIHDA in Cagliari-Chia Laguna gehalten habe.
480
Papiniantext D.1.1.7.1 erfahren wir über die unterstützende, die
ergänzende und die korrigierende Rolle des prätorischen Rechts in
Bezug auf das ius civile.
Das Gesetz (lex), in hoher Achtung der Form und auf einer
allgemeinen Ebene, sorgt für die Regelung eines noch nicht oder
noch nicht einheitlich geregelten Rechtsbereiches. Die Rechtsregeln
(ius), schaffen dann die Prätoren in ihrem Edikt und die Juristen in
ihren Gutachten (responsa prudentium). Der Prätor war durch sein
imperium zur Rechtsschaffung berechtigt, während die Juristen
durch die Einwilligung des Kaisers das Recht hatten, responsa zu
geben.
Die Duplizität der Quellen des Privatrechts kommt in der Zeit
der Republik vor allem durch die aktive Tätigkeit der Prätoren zu
Stande.
Für
die
Charakterisierung
der
prätorischen
„Gesetzgebung“ verwendet meine slowakische Kollegin Frau
Professor Krsková2 eine schöne Parallele: „die prätorische
Gesetzgebung war eine halbgeöffnete Tür, durch die der Einfluß
des natürlichen Rechts in das römische Privatrecht hineinschleichen
konnte“.
Im Folgenden versuche ich einige interessante Tatsachen zu
analysieren, die mit der Art und Weise der prätorischen
„gesetzgebenden“
Tätigkeiten
zusammenhängen.
Die
nachfolgenden Überlegungen sind der Vergleichung zweier Edikte
gewidmet, die beide die Frage des Ausgleichs der aus
verschiedenen Tatbeständen entstandenen gegenseitigen Ansprüche
geregelt haben. Im ersten Fall handelt es sich um das Edikt De
negotiis gestis, im zweiten um das Edikt De damno infecto. Das
Thema
der
Untersuchung
soll
nicht
der
konkrete
rechtsdogmatische Charakter beider Institute sein, sondern es sollen
die Entstehungsumstände beider Edikte aus der Sicht der
Entstehungsweise prätorischer Rechtsregeln erforscht werden.
2. Die Entstehungsumstände des Edikts De negotiis gestis
Die Entstehung beider Edikte hängt gewissermaßen mit der Lex
Aquilia aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert zusammen.
Oder besser gesagt, sie hängt mit dem zusammen, was die Lex
Aquilia als Grund für einen Schadenersatz nicht geregelt hatte. Die
allgemeinen Rechtsnormen der Lex Aquilia konnten nicht alle
Tatbestände erfassen, die Rechtsschutz erfordert hätten. Das
Rechtsbewußtsein jener Zeit stand nicht auf einer so hohen Stufe
2
A. KRSKOVÁ,
Bratislava 1992, S.59.
,
DIE EDIKTE DE NEGOTIIS GESTIS UND DE DAMNO INFECTO
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der Verallgemeinerung. Die Lex Aquilia brachte zweifellos eine
bedeutende Verallgemeinerung in die bisher sehre kasuistisch
limitierte Klagbarkeit auf Ersatz eines entstandenen Schadens. Sie
forderte jedoch, daß dieser Schaden corpore corpori zugefügt
wurde und zwar durch urere, rumpere, frangere3. Ein solcher
Tatbestand entsprach jedoch einem aktiven und eher dolosem
Verhalten.
Wie sollten die Tatbestände behandelt werden, wenn jemand
einem anderen einen nicht körperlichen Schaden zufügte oder
wenn der Schaden nur drohte? Die Lex Aquilia definierte im
zweiten Kapitel expressis verbis den vielleicht öftesten Tatbestand
eines nicht körperlichen Schadens, der des Rechtsschutzes bedürfte,
nämlich den Fall des Erlaßes einer Stipulationsschuld durch eine
vom adstipulator vorgenommene acceptilatio. Gerade diese
Tatsache beweist überzeugend, daß das römische Privatrecht bis
zum Jahre 286 vor Chr. kein klagbares Verhältnis zwischen dem
Schuldner aus der Stipulation und dem adstipulator kannte.
Deshalb wurde dieser sehr konkrete Fall in das Gesetz, das sonst im
Falle des damnum iniuria datum den Weg zur Verallgemeinerung
anstrebt, einbezogen. Zu dieser Zeit gab es noch kein Edikt De
negotiis gestis. Hätte es nämlich existiert, so wäre das zweite Kapitel
der Lex Aquilia nicht nötig gewesen.
Der Hauptgrund für den Erlaß des Edikts war nach Wlassak 4
vor allem das Bedürfnis der Einforderung von Ansprüchen aus der
Vertretung im Prozeß oder aus der Geschäftsführung für einen
Abwesenden. In seiner Verallgemeinerung hätte es jedoch auch die
Klagbarkeit in Bezug auf das Verhalten des Adstipulators
einbeziehen können.
Die ursprüngliche Fassung des Edikts steht uns nicht zur
Verfügung; deshalb können wir über seinen Umfang bloß
diskutieren. Nach Wlassak 5 waren in der ursprünglichen Fassung
des Edikts alle Fälle von Vertretung einer fremden freien Person
einbezogen und zwar sowohl mit Auftrag als auch auf Grund einer
realen Gestion, also einer faktischen Handlung ohne Vertragsbasis.
Für diese Auslegung spricht auch die Bezeichnung des Edikts:
negotia gerere bedeutet „Geschäfte führen 6“. Das Definieren des
eigenständigen Tatbestandes der Geschäftsführung ohne Auftrag
3
Siehe M. KASER, Das Römische Privatrecht I2 , München 1971, S.620.
M. WLASSAK, Zur Geschichte der Negotiorum Gestio, Jena 1897, S.40.
5
WLASSAK, op.cit., S.62.
6
Vgl. dazu
, Negotiorum Gestio, Brno 1998, S.33.
4
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entspricht erst dem viel späteren Rechtsdenken. Die Einräumung
der Rechtsrelevanz des Konsenses bei dem Vertragsabschluß gehört
erst in der Periode der Klassik 7. Auf keinem Fall darf man eine
solche Unterscheidung bei den Prätoren in der Zeit der Republik
erwarten.
Den historischen Hintergrund der Entstehung des Edikts
bildete das Bedürfnis, die Frage der mittelbaren Rechtsvertretung
zu lösen. Das Edikt in der Fassung. die in den Digesten vorliegt8,
bezieht sich auf jede Person, die negotia aliena gesserit. Der
Eindruck, daß das Edikt über „Geschäftsführung“ von Anfang an
für den Tatbestand „Geschäftsführung ohne Auftrag“ geschaffen
wurde, entsteht durch dessen Einordnung in den Digesten, wo der
Titel De negotiid gestis zwischen den Titeln: Quod cuiuscumque
uiversitatis nomine vel contra eam agatur (3,4) und De
calumniatoribus (3,6) steht. Durch die Reihenfolge und die
Selektion der Themen kann die Bedeutung jedes beliebigen Textes
verschoben werden. Die Juristen Justinians um mehr als 600 Jahre
später kannten bereits die Problematik und die Bedeutung der
vertraglichen Basis. Durch die Reihenfolge der Texte betonten sie,
daß das Institut negotiorum gestio „Geschäftsführung ohne
Auftrag“ war. Ausgehend von den Texten der Klassiker sollten sie
das Zivilrecht ihrer Zeit kodifizieren. Sie hatten im Interesse der
Zukunft zu handeln und keine historische Studien abzufassen. Sie
wandten also ihre Rechtsüberzeugung und ihr Rechtsbewußtsein an.
Sie unterschieden ganz genau zwischen der Geschäftsführung mit
Auftrag
und
der
Geschäftsführung
ohne
Auftrag.
Dementsprechend wurde auch die Verbindlichkeit aus der
Geschäftsführung ohne Auftrag den obligationes quasi ex
contractu zugeordnet9.
Diese Stufe der Verallgemeinerung und das Bewußtsein, wie
wichtig die Willensübereinstimmung ist, entsprachen nicht dem
Rechtsdenken der späten Republik. Für die Tatsache, daß in dem
ursprünglichen Edikt auch die Tatbestände, die später eigenständig
mit der actio mandati behandelt wurden, einbezogen waren, spricht
auch die Rechtsentwicklung anderer Institute des römischen Rechts,
7
Vgl. dazu S. RICCOBONO , La formazione della teoria generale del contractus nel
periodo della giurisprudenza classica, in Studi Bonfante I, Milano 1930, 123-173,
J.A.C. THOMAS, Textbook of Roman Law, Amsterdam etc. 1976, S.225-227 und
M. KASER, Divisio Obligationum, in Studies in Justinian’s Institutes in memory
of J.A.C. Thomas, London 1983, S.74-75.
8
Vgl. dazu O. LENEL, Das Edictum Perpetuum3 , Leipzig 1927, S.101.
9
Vgl. Inst.3.27.1.
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wie zum Beispiel der fiducia, die später im Laufe der Zeit durch
reale Kontrakte ersetzt wurde, und der permutatio, an derer Stelle
die konsensuelle emptio venditio trat. Den Prozeß vom
Allgemeinen zum Einzelnen, wie wir ihn bei der negotiorum gestio
beobachten können, ist eine relativ spezifische Erscheinung in der
Rechtsentwicklung. Die Gegenenentwicklung, nämlich die vom
Konkreten zum Abstrakten, vom Einzelnen zum Allgemeinen kann
man als weniger üblich betrachten. Der Erlaß des Edikts De
negotiis gestis schuf allerdings die Bedingungen dafür, daß sich das
Institut der „Geschäftsführung ohne Auftrag“ in einer völlig
eigenständigen Form entwickeln konnte und daß es später zum
spezifischen und üblichen Mittel zur Vertretung
auf
außerverträglicher Basis wurde. Hätte es dieses prätorische Edikt
nicht gegeben, so wäre höchstwahrscheinlich der Ausgleich der
gegenseitigen Ansprüche in die sich entwickelnde Kasuistik über
den Schadenersatz, eventuell über die Aushändigung der
ungerechtfertigten Bereicherung einbezogen worden. Genauso wie
auch heute dieses Rechtsverhältnis in dem angelsächsischen Recht
geregelt wird, nämlich nach dem Prinzip des Ausgleichs der
gegenseitigen Ansprüche im Rahmen einer unberechtigten
Bereicherung 10.
3. Die Entstehungsumstände des Edikts De damno infecto
Auch das Institut der cautio damni infecti hat seinen Ursprung
im prätorischen Recht. Im Unterschied zu dem hiervor kurz
besprochenen Edikt war in diesem Fall die Problematik bestimmter
Situationen aus drohendem Schaden bereits im archaischen Recht
geregelt und dem Zwölf-Tafelgesetz bekannt. In den heutigen
Rechtssystemen ist der drohende Schaden (damnum infectum) mit
den allgemeinen Regelungen über den bereits entstandenen
Schaden (damnum praeteritum) verbunden. In der römischen
Auffassung findet man jedoch zwischen diesen beiden Situationen
keine Parallele. Am Anfang der Entwicklung des Privatrechts ist
dieses Phänomen dadurch zu erklären, daß die Kasuistik sehr
konkret war.
Im Falle drohenden Schadens kannte das Zwölf-Tafelgesetz
Klagen auf den über dem Grundstück des Nachbarn schief
wachsenden Baum - de arboribus caedendis, auf den drohenden
Erdrutsch, usw. Ähnlich wie bei den bereits entstandenen Schaden
10
Vgl. R. ZIMMERMANN, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Cape Town etc. 1990 = Deventer 1993 = Oxford 1996, S. 448450.
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(actio de pastu, actio de arboribus succisis), handelt es sich um
Klagen, die durch kompakte Tatbestände gekennzeichnet sind. Die
Tatbestände des entstandenen Schadens wurden allmählich
erweitert und die Lex Aquilia brachte dann die allgemeine
Klagbarkeit in Fällen, in denen Schaden von urere, frangere,
rumpere zugefügt wurde. Der Ersatz des entstandenen Schadens
wurde im Zivilprozeß gefordert, dessen unentbehrlicher Bestandteil
es war, daß der Kläger das Verschulden zu beweisen hatte.
Auch im Falle des drohenden Schadens wurden die Ansprüche
ursprünglich im Legisaktionenprozess erhoben. Dank dem
prätorischen Recht kam es bei drohendem Schaden zu einer
wesentlichen Abwendung von diesem Rechtsweg und dem Edikt
gemäß fand das ganze Rechtsverfahren bei drohendem Schaden
vor dem Prätor im Rahmen seiner außergerichtlichen
Verwaltungskompetenzen statt11. Die Gründe für diese Änderung
in der Rechtsregelung waren das Bedürfnis eines schnellen
Eingriffs und auch häufige Bauunfälle bei den Mietshäusern
schlechter Qualität, die massenweise gebaut wurden 12.
Zu der Frage, wann das prätorische Edikt De damno infecto,
das das Institut bei drohendem Schaden einführte, erlassen wurde,
gibt es keinen Konsens. Die Kaution erscheint zum ersten Mal im
Kapitel 20 der Lex Rubria de Gallia Cisalpina aus den Jahren 4942 vor Chr., in dem ausdrücklich auf das Edikt des praetor
peregrinus Bezug genommen wird. Verschiedene Autoren sind der
Meinung 13, daß der praetor urbanus zum ersten Mal eine Klausel
über die cautio damni infecti in sein Edikt aufgenommen habe.
Rainer 14 bestimmt jüngst die Entstehungszeit der cautio damni
infecti im Edikt des praetor peregrinus am Anfang des zweiten
Jahrhunderts vor Chr. und hält eine sukzessive Aufnahme in das
Edikt des praetor urbanus für wahrscheinlich.
Aus dem Charakter der prätorischen „Gesetzgebung“ schließe
ich, daß das prätorische Edikt keine einmalige Erfindung war, die
11
Siehe dazu
, Brno 2000,
S.24.
12
Vgl. über die Mängel der insulae und die daraus hervorgehenden Katastrofen,
nämlich Einstürze und Brand, L. HOMO, Rome impériale et l’urbanisme dans
l’antiquité, Paris 1971, S.506.
13
Siehe O. KARLOWA , Römische Rechtsgeschichte II,I, Privatrecht, Leipzig
1901, S.1241 und P. BONFANTE, Corso di Diritto Romano I, La Proprietà, Milano
1966, S.394.
14
J.M. RAINER , Bau-und nachbarrechtliche Bestimmungen im klassischen
römischen Recht, Graz 1987, S.145-146.
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bei Nacht am Tisch geschaffen wurde. Möglicherweise wurden die
Prätoren von dem Leben selbst überholt. Denn sie nutzten oft die
Bräuche aus, die in der Praxis entstanden waren. Sie gingen von
den möglichst gangbaren Wegen intra legem aus. Man kann sich
gut vorstellen, daß man begann, die Kaution auf Vorschlag einer
der Parteien zu fordern im Rahmen der allgemeinen prätorischen
außergerichtlichen Mittel. Die Gewährung von Kautionen war im
römischen Rechtsleben üblich, genauso wie auch die prätorischen
Stipulationen üblich waren. Es war ein außerordentliches Mittel,
durch das der Prätor verschiedenen Gemeininteressen schützte.
Durch den Erlaß des Edikts De damno infecto wurde eindeutig der
Standard eingeführt, das bestgeeignete Verfahren vereinheitlicht.
Ein solcher Prozeß würde auch mit dem Gedanken der
Entwicklung vom Allgemeinen zum Einzelnen, die wir oben bei
der negotiorum gestio haben beobachten können, übereinstimmen.
Aus dem allgemeinen Mittel wurde wieder ein spezielles Mittel für
das
Zusammentreffen
verschiedener
außerordentlicher
Verwaltungsverfahren geschaffen. Das Ergebnis waren zwei Typen
der Besitzeinführung ex decreto. Durch die missio in possessionem
ex primo decreto erwarb der Nachbar die Detention des Hauses, das
für ihn zu Schaden führen konnte. Ex secundo decreto wurde dann
der Besitz erteilt, der zur usucapio führte. Der Bürger konnte seine
Widerwilligkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, mit dem Verlust
seiner Besitzberechtigung büßen.
Im Hinblick auf das Recht schaffende Verhalten des Prätors
stellt der Text von Gaius, Inst.4.30-31 ein interessantes Problem
dar. In IV,30 schreibt Gaius, daß die legis actiones wegen zu großer
subtilitas aufgehoben wurden und daß durch die Lex Aebutia und
zwei Leges Iuliae ein neues Verfahren eingeführt wurde, das per
concepta verba geführt wird. Nach G.4.31 sind die legis actiones
nur bei drohendem Schaden und bei Gerichtshandlungen vor dem
Zentumviralgericht einzusetzen. Gaius fügt jedoch hinzu, daß bei
drohendem Schaden keiner mittels legis actiones prozessieren will;
man klagt gegen seinen Gegner lieber auf der Grundlage einer
Stipulation, die im Edikt vorgeschlagen wird, was sowohl rechtlich
bequemer als auch effizienter ist.
Warum ließ der Gesetzgeber die legis actiones gerade bei dem
drohenden Schaden wirksam bleiben, wenn bereits in der Zeit, in
der diese Gesetze erlassen wurden, auch schon das prätorische
Edikt De damno infecto vorhanden war, in dem die Möglichkeit
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von Ausnutzung der Kaution angeboten wurde15? Die Begründung
dafür ist in den unterschiedlichen Tatbeständen, in denen die
verschiedenen Rechtsmittel angewendet wurden, zu suchen. Die
ursprünglichen legis actiones wurden für das ländliche Milieu
vorgeschlagen, wo der Schaden vor allem den Grundstücken
drohte. Später - und dieser Prozeß begann im Zusammenhang mit
dem Städtebau nach dem verheerenden Einfall der Gallier - tauchte
die Frage des drohenden Schadens im Zusammenhang mit dem
Bau von Mietshäusern (insulae) von ungenügender Qualität auf.
Diese neuen und zweifellos oft drohenden Schäden erweckten den
Bedarf nach einem wirklich effizienten Verfahren unter der
Teilnahme des Magistrats. Dagegen blieben die Naturbedingungen
auf dem Lande immer die gleichen. Darüber hinaus hält
Erfahrungsweise die Landbevölkerung an ihren Traditionen und
uralten Bräuchen fest. Das Leben auf dem Lande ändert sich mit
der Zeit nur wenig. Die Streitigkeiten zwischen den Nachbarn
wurden immer auf die uralte Weise gelöst. Deshalb berücksichtigte
auch der Gesetzgeber den status quo und ließ die legis actiones
wirksam bleiben. Sie wurden jedoch nur für die ursprünglichen
Zwecke benutzt. In der Stadt wendete man bereits neue Mittel an,
die zu einer relativ viel effizienteren Rechtsschutz führten.
Die beiden oben erörterten Edikte geben Zeugnis von dem
Charakter der prätorischen Rechtsschaffung. Diese beruhte auf
andauernder und mit dem alltäglichen Leben verbundener Arbeit
der Magistrate. Gewiß brachten viele prätorische Edikte nichts
Neues. Einige von ihnen beeinflußten aber die Rechtsentwicklung
bis zur heutigen Zeit. Sie zeugen von dem Pragmatismus, der
Schlagfertigkeit und der Effizienz bei der Schaffung von
rechtlichen Normen - ius. In der Unterscheidung zwischen ius und
leges liegt die schöpferische Kraft des römischen Privatrechts.
15
Siehe dazu zum Beispiel, G. FALCONE, Sulle tracce del ‘lege agere damni infecti’,
in Ann.del Sem.Giur. dell’Università di Palermo, XLIII (1995), S. 521-534.
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